Illustrirte Welt.
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aufgestellt, sondern nur eine Thatsache, welche sich nach der Zer-
störung der Bastille selber ilarlegte, durch einfache Beibringung
von Belegen bekräftigt. Er hat nichts Neues erfunden oder ge-
sunden, sondern die Enthüllung, welche im Jahre 1789 von selber
ans Licht trat, durch Dokumente sestgcstellt. Daß man zur Zeit
der französischen Revolution die Entdeckung nicht weiter beachtete
oder verfolgte, kann niemand wunder nehmen. Was war den
Sansculotten oder den vertriebenen Royalisten „Hekuba" ? — und
nun vollends erst der Soldateska des ersten Kaiserreichs und der
darauffolgenden Freiheitskriege! Was kümmert uns unter Blücher
ein eingesperrter Malversant aus der Zeit des „ollen Louis
quatorze?"
Durch die Klarlegung dieser „Asfaire" verliert dieselbe freilich
alle Romantik; nicht einmal eine „Frau" spielt dabei eine Rolle,
und nicht einmal die Politik. Es ist eine leidige Geldgeschichte —
vollst tont. Aber wenn wir so mancher weltberühmten, poetisch
ausgeschmückten, romantischen Geschichte auf den Grund sehen
wollten, was würden wir da anderes finden, als ebenfalls eine
— Geldgeschichte!
In der Mitie des achtzehnten Jahrhunderts wurde die myste-
riöse Geschichte der „eisernen Maske" *) zuerst in die Oeffentlich-
keit gebracht, und zwar in einem zu Amsterdam 1745 gedruckten
Büchlein: „Memoiren zur Geheimgeschichte Persiens" (Äemoirsp
sscrsts pour sercir st I'iristoiro äs ksrse), ohne Angabe des
Verfassers. Das Ganze war eine Geschichte der politischen und
galanten Verhältnisse des französischen Hofes unter erdichteten
und auf Persien übertragenen Namen. Es machte so viel Auf-
sehen, daß es bald in dritter Auflage, mit einem „Schlüssel" ver-
sehen, erschien. Darin wurde unter anderem erzählt, daß ein
Prinz Giaser (der Graf von Vermandois, Sohn Ludwigs XIV.
und der La Balliere) dem legitimen Kronprinzen Scphi-Mirza
ider Dauphin Ludwig) eine Ohrfeige gegeben habe. Cha-Abas
(Ludwig XI V.) habe nun den Prinzen Giafer, nachdem man ihn
für tot ausgegeben, in die Festung der Insel Ormus (St. Mar-
guerite) gefangen gesetzt, nachdem man ihm das Antlitz ver-
stümmelt und dasselbe noch obendrein unter einer eisernen Larve
verborgen hatte.
Diese Anekdote, von Voltaire **) in die Welt hinausgesandt,
machte unglaubliches Aufsehen und rief eine solche Fülle von
Streitschriften hervor, daß man dieselben hier unmöglich alle an-
führen kann; auf Liese Anekdote auch basirten sich die meisten
zunächst folgenden „Versionen" und Enthüllungen über den ge-
heimnisvollen Gefangenen. (Der unter dem Namen Giafer erwähnte
Graf von Vermandois starb, wie die Prinzessin von Montpensier
erzählt, 1683 im Lager vor Courtray am Fieber.)
Sieben Jahre später gab Voltaire sein „Jahrhundert Lud-
wigs XIV." heraus und wiederholte darin dieselbe Anekdote,
wobei er aber die Personen bei ihren wirklichen Namen nannte.
Von nun an regnete es von neuen Entdeckungen und Ent-
hüllungen über den Mann mit der eisernen Larve, vorzüglich in
holländischen Büchern — cs war das eine Art von Wettstreit,
wer etwas „Romantischeres" oder Unwahrscheinlicheres erdichten
könne.
Man stellte nach und nach folgende „Prätendenten" für diese
Nolle auf:
1) Den Herzog von Beaufort, den „König der Hallen", welcher
geschichtlich bei der Belagerung von Kandia fiel. (ImArauxs
skancsi in der X-noss litksrairs 1758.)
2) Den Herzog von Momouth, Sohn Karls II. von Eng-
land, welcher 1685 als Aufwiegler enthauptet wurde. (Saint-
Foix.)
3) Arwedicks, Patriarchen von Armenien, welcher die grausame
Christenverfolgung in seinem Vaterlande anstiftete. (tlüsvalier
äs Uaulss: «I/Iwmins au inasgus äs ksr, uns vietäms äes
issouitss». karis 1825.) Aber Arwedicks bekehrte sich zum Katho-
lizismus und starb in Paris als freier Mann.
4) Matthioli, Sekretär des Herzogs von Mantua, dessen
Politik Ludwig XIV. mißfiel und der ihn deshalb cinkerkern
ließ. Derselbe starb aber schon 1681.
5) Henri Cromwell, der zweite Sohn Oliver Cromwells, von
dem man freilich nicht weiß, wo er seit 1659 lebte und wo er
starb. Aber weshalb sollte man diesen harmlosen Menschen ein-
gekerkert haben, da man seinen älteren Bruder Richard unbehelligt
als Privatmann leben ließ?
6) Ein Zwillingsbruder Ludwigs XIV., den Ludwig XIII.
bei der Geburt hatte verschwinden lassen, um jeden späteren
-t-hronstreit zu vermeiden.
Alle die Hypothesen und Streitigkeiten wurden aber gelöst,
als man am 14. Juli 1789 die Bastille zerstörte und in den
Registern derselben eine Karte aus Pappendeckel fand, auf welcher
geschrieben stand: „Foucquet"**), angekommen von der Insel
^vt. Marguerite mit einer eisernen Larve. XXX. 64. 389 000.
Kersadion."
Dieser Fund f) enthüllte mit einemmale die Wahrheit über
den geheimnisvollen Gefangenen.
Derselbe war niemand anderer als der famose Finanzminister
-udwigs XIV., den dieser Monarch seiner großartigen Mal-
öersationen und zugleich seiner rebellischen Pläne wegen ein-
lerkern ließ. Und da derselbe trotzdem Anhänger behielt unter
keinen Kreaturen, und vor allem unter den politischen Gegnern
des Königs, und von seinem Gefängnisse aus immer und immer
wieder sich mit diesen Anhängern in Verkehr zu setzen wußte, so
hielt man es für gut, ihn im Jahre 1680 für tot auszugeben
und ihn fortan als namenlosen „verlarvten" Gefangenen zu
halten (das heißt, die Larve trug er nur, wenn er aus einem
Gefängnisse ins andere transportirt wurde) bis an seinen im
Z.uhee 1703 erfolgten wirklichen Tod. Wie einfach war diese
^»siing. Und überdies stimmten mit dieser Entdeckung alle
-uebenumstände übcrcin, denn alle Vorsichten, die man in der
.. l Mr behalten diese gewohnte Bezeichnung bei. obwohl die Bc-
s wnung'. -1,'homino au liinsquo cko kor- im Deutschen richtig heißen
»Der Mann mit der eisernen Larve". So dachte auch Zichotte
' Das deutsche „Maske" bezeichnet Un ganzes Kostüm.
Z Denn Voltaire ist der anonyme Versager dieser „Memoiren"
der versuchen Geschichte.
Namens^ Zeit Ludwigs XIV. gebräuchliche Schreibweise dcs
derselbe wurde schon am 13 August 1789 in dem periodischen
mt. -Uoisirs ck'ua Patriot kraiu^ais» veröffentlicht.
Bewachung Fouquets in der Festung Pignerol anwandte, wandte
man genau so an bei der eisernen Maske in St. Marguerite;
die „eiserne Maske" taucht eben in demselben Zeitraum auf, da
der angebliche Tod Fouquets erfolgt war. Alles, was man
von den Gewohnheiten Fouquets als Gefangenen erzählte, er-
zählte man später von der eisernen Maske; man hat den Tod
Fouquets niemals präzisirt und durch irgendwelche Akten be-
wiesen.
Sobald der Gerichtshof laut Urteils vom 20. Dezember 1664
entschieden hatte, Fouquet sei schuldig befunden, in seiner Eigen-
schaft als Oberintendant der Finanzen Mißbrauch und Mal-
versationen im größten Maßstabe betrieben zu haben, und sei
deshalb für immer aus Frankreich zu verbannen und all seiner
Habe verlustig zu werden, entschied der König, daß es sehr ge-
fährlich sein würde, besagten Fouquet außerhalb des Landes zu
senden, und verwandelte dessen Strafe in lebenslänglichen Kerker.
Fouquet wurde nun sogleich durch Herrn Saint-Mars auf Schloß
Pignerol gebracht und dort gefangen gesetzt , und zwar auf die
strengste Weise.
Nun aber erfolgten neue Entdeckungen und Unruhen. Man
entdeckte eine ganze von Fouquet angezettelte Verschwörung, einen
Bürgerkrieg zu erregen und sich selber des Thrones zu bemäch-
tigen. Man fand, daß die Befehlshaber der wichtigsten festen
Plätze in seinem Solde standen, daß er ganze Regimenter aus
eigener Tasche besoldete, daß er bei fast allen fremden Negie-
rungen eigene Gesandte hatte. Ferner kam man immer wieder
auf neue Verschwörungen, welche seine Anhänger und Kreaturen
anstiftcten, um ihn zu befreien. Und diese Anhänger und be-
stochenen Freunde hatte der Krösus in allen Schichten der Gesell-
schaft, des Adels, des Militärs, sogar der Kunst und Wissen-
schaft. La Fontaine besang ihn, den verurteilten Verbrecher, in
rührenden Gedichten, die Ssvigns wiegelte alles für ihn auf,
Pelisson erhob ihn bis zum Himmel. Fouquet seinerseits suchte
sich auf alle mögliche Weise mit der Außenwelt in Verkehr zu
: setzen: er bekritzelte die silbernen Teller seines Services und warf
dieselben durch sein Gitterfenster; er schrieb Hemden und Sack-
tücher von oben bis unten an und warf dieselben ebenfalls ins
Freie. So schrieb einmal Louvois an Saint-Mars: „Ich habe
Ihren Brief erhalten zusamt dem Sacktuche, welches Herr Fou-
quet neuerlich vollgeschrieben hat. Sie können ihm sagen, daß
wenn er sortführt, auf diese Weise seine Wäsche als Papier zu
benützen, er sich auch nicht wundern darf, wenn er keine frische
mehr empfängt."
Plötzlich stirbt Fouquet, — im Jahre 1680 — aber es bleibt
bei einer einfachen offiziellen Anzeige. Seine Freunde, seine
nächsten Anverwandten zweifeln an dem Tode. Sein Poet
La Fontaine, welcher seine Ungnade jo hinreißend in Versen be-
klagte, hat keinen Vers aus seinen Tod. Sein Leichnam wird
erst nach einem Jahre nach Paris gesandt und in einer Kirche
bcigesetzt ohne eine Zeile als Grabschrist. Dangeau, welcher in
seinem Tagebuche die besonderen Vorfälle einer jeden Woche auf-
zeichnet, spricht kein Wort von diesem Ableben, und die Familie
Fouquet behauptete stets, nie nähere Details darüber empfangen
zu haben.
Zur selben Zeit, in demselben Gefängnisse, unter demselben
Gesangenwärter (oder Gouverneur, wie man's nannte) taucht
plötzlich ein Gefangener mit einer „eisernen Maske" auf, dessen
Namen niemand weiß, oder welcher vielmehr jedes Jahr unter
einem andern Pseudonym in den Briesen und Registern des
Saint-Mars figurirt, bald als Marchialy, bald als Kersadion.
Er bleibt stets unter der Aufsicht des Saint-Mars und muß
! mit ihm wandern, wenn derselbe seine Station wechselt, er folgt
ihm also auch 1698 in die Bastille. In seinen früheren Briefen
hat Saint-Mars von Fouquet stets gesprochen als von „seinem
Gefangenen", obwohl er auch andere Gefangene unter seiner Aus-
' sicht hatte; jetzt bezeichnet er mit dem Worte „mein Gefangener"
stets die eiserne Maske. Die eiserne Maske hat dieselbe Manie
wie Fouquet, Hemden, Teller und so weiter vollzukritzeln und
zum Fenster hinauszuwerfen.
Und endlich, im Jahre 1789, bei der Zerstörung der Bastille,
findet man in den Registern eine Karte, in welcher gesagt wird,
daß der Gefangene „Fouquet" eine eiserne Maske trägt.
Und doch wurden noch in den Jahren 1830, 1840, 1860
neue Dramen aufgeführt, sowie eine Oper von Ambroise Thomas:.
„Das Geheimnis der Königin oder Raymond", welche alle die
Geschichte des Mannes mit der eisernen Larve behandeln, und
überall ist derselbe — ein Zwillingsbruder Ludwigs XI V Wie
man sieht, hat nichts eine solche Zähigkeit des Lebens, wie eine
romantische Lüge.
Und nun noch ein Wort über die „Larve" selber, welche
aus Lammet mit eisernen Kinngelenken verfertigt war. Ge-
wöhnlich stellt man sich vor, daß der Gefangene dieselbe seine
ganze Gefangenenzeit hindurch trug — und das ist es, was uns
mit so viel Mitleid erfüllt und mit Grauen vor einem solchen
stets maskirten Dasein. Nun wird aber in allen authentischen
Registern und Ausweisen bestätigt, daß der Gefangene diese Larve
nur während seiner Ueberführung aus einem Gefängnisse ins
andere trug, oder wenn ein Arzt ihn besuchte. Also nur einige-
male während der Zeit seiner Gefangenschaft! Damit fällt auch
der Nimbus Lieser Folterqual weg. Und aus dem unglückseligen
Königsjohne, welcher ein ganzes Leben hindurch in einer Art
eisernen Helmes schmachtete und weinte, wird einfach ein alter,
unredlicher Beamter und Aufwiegler, den man während seiner
zwei- bis Lreinialigen Transportirungen eine Larve tragen ließ,
was übrigens in den damaligen Zeiten jede vornehme Dame auf
Reisen that.
Wo bleibt da noch eine Spur von Romantik?
Sinnsprüchc.
Der heutige Tag ist des gestrigen Schüler.
Publil. Syrus.
Freude schweift in die Welt hinaus,
Bricht jede Frucht und kostet jeden Wein;
Riefe dich nicht das Leid nach Haus,
Du kehrtest nimmer bei dir selber ein. G-ibel.
In U alter.
Novelle
von
Lucy Käse.
(Fortsetzung.)
der Thür zu ihrem Zimmer stand Konstanze
einen Augenblick still, die Hand auf die Klinke
HAK' gelegt, dann zog sie sie mit raschem Entschluß
" zurück, wandte sich um und trat auf die breite,
bedeckte Galerie, auf welche die verschiedenen
Korridore und Thüren münden; sie stand dort eine ganze
Weile regungslos und schaute hinaus auf die Berge.
Warum war ihr nur so selig zu Mut, so glückselig? „Seit
ich ihn gesehen, glaub' ich blind zu sein, sehe immer ihn
nur und nur ihn allein." Als sie abends zusammen am
Fenster saßen und der Mond sein zauberisches Licht über
das Meer und die Berge warf und in das kleine Zimmer,
sagte Tante Olga zu Konstanze, die auf niederem Tabourct
zu ihren Füßen saß:
„Singe mir doch etwas, liebes Kind."
Und sie weigerte sich nicht, es war ihr, als müsse sie
laut hinausjubeln in die Welt, was ihr Herz so voll, so
selig machte. Anfangs klang ihre Stimme verschleiert,
aber dann tönte sie mächtig, klar und voll wie eine Glocke
durch das kleine Zimmer und über das Meer hin, das
rauschend accompagnirte. Sie sang eine deutsches Lied:
„Herz, mein Herz, was soll das geben.
Was bedränget dich so sehr?
Welch ein neues, fremdes Leben,
Ich erkenne dich nicht mehr."
Da klangen plötzlich weiche, klare Geigentöne herüber,
eS war eine süße, schwermütige, russische Weise. Konstanze
horchte auf, es klang wunderschön in der stillen, schwülen
Sommernacht und bewegte ihr wundersam das Herz.
Wer mochte doch der Geiger sein, der seinem Instru-
ment solch klare, weiche Töne zu entlocken wußte? Wie
gut sie zu dem bleichen Mondschein, zum Sternengefunkcl
und dem leisen Rauschen der Wogen paßten!
Das Lied war verklungen, Konstanze saß still in
Gedanken, ohne sich zu regen.
„Willst Du mir nicht -los xstits oisoaux' singen?"
fragte Tante Olga.
Konstanze fuhr auf wie aus einem Traum, ihre Stimme
klang wundervoll rein und klar, und jetzt fiel die Geige
von drüben ein, sie begleitete; und Konstanze sang, wie sie
noch nie das kleine Lied gesungen, und plötzlich wußte sic,
wer der Geiger war. Wer hätte sie so begleiten können,
wenn er's nicht wäre?
„Wer mag dort drüben wohnen?" sagte die Gräfin,
„es klang sehr gut, da er Dich begleitete."
Konstanze legte ihren Kops in der Tante Schoß.
„Bist Du sehr müde?" fragte diese.
„Nein, Tante Olga, gar nicht; ich könnte jetzt singen
die ganze Nacht, ohne zu ermüden."
„Ach nein, liebe Konstanze, jetzt mußt Du aufhörcn.
Du tonntest Deiner Stimme schaden und das würde mir
unendlich leid thun," sagte die Tante. „Morgen mußt
Du mir wieder ein paar Lieder singen, jetzt laß uns etwas
plaudern."
Sie sprachen von Konstanzens verstorbener Mutter,
von ihrem Vater, und Tante Olga erzählte mancherlei
aus ihrem eigenen Leben; von drüben aber klangen noch
immer die klaren, süßen Gcigentöne in schwermütigen
russischen Weisen herüber.
Und alle Abende wartete er auf Konstanze und sie
gingen zusammen die Straße aus und ab und sprachen
über gleichgiltige Dinge; aber jedes Wort, das er sprach,
grub sich in Konstanzens Herz und wiegte es in süßen,
lieblichen Traum, und einstmals hatte er gefragt:
„Sie singen auch, mein Fräulein?"
„Ein wenig," hatte sie erwidert.
Und daraus hatte er sie mit ernsten, dunklen Augen
groß angeschaut.
„Wissen Sie auch, daß Sie sündigen, wenn Sie sagen
nn wenig, da Gott Ihnen doch solch herrliche, gewaltige
Stimme verliehen hat?"
Sie war leise errötet.
„Und Sie spielen die Geige, nicht wahr?" hatte sie
gefragt.
„Ich" sagte er.
„Sie sind ein Meister!" hatte sie ausgerufcn, er aber
hatte erwidert:
„Ich verstehe nicht die Ideen der Meister rein und
klar, wie sie in »reiner Seele leben, mit der Geige wiedcr-
zugeben, ich bin ja auch nur ein Dilettant."
Eines schönen, warmen Sommerabends sagte die Tante:
„Komm, Konstanze, wir wollen in den Stadtgartcn
gehen."
Es war am Tage sehr stürmisch gewesen und das
Meer hatte sich noch nicht ganz beruhigt; große, wilde
Wogen wälzten sich mit donnerähnlichem Getöse gegen
den steinernen Quai. Das Meer sah ganz schwarz aus,
blendend hoben sich die schneeweißen Wellenkämme von
den dunklen Fluten ab. Es war nicht weit bis zum
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aufgestellt, sondern nur eine Thatsache, welche sich nach der Zer-
störung der Bastille selber ilarlegte, durch einfache Beibringung
von Belegen bekräftigt. Er hat nichts Neues erfunden oder ge-
sunden, sondern die Enthüllung, welche im Jahre 1789 von selber
ans Licht trat, durch Dokumente sestgcstellt. Daß man zur Zeit
der französischen Revolution die Entdeckung nicht weiter beachtete
oder verfolgte, kann niemand wunder nehmen. Was war den
Sansculotten oder den vertriebenen Royalisten „Hekuba" ? — und
nun vollends erst der Soldateska des ersten Kaiserreichs und der
darauffolgenden Freiheitskriege! Was kümmert uns unter Blücher
ein eingesperrter Malversant aus der Zeit des „ollen Louis
quatorze?"
Durch die Klarlegung dieser „Asfaire" verliert dieselbe freilich
alle Romantik; nicht einmal eine „Frau" spielt dabei eine Rolle,
und nicht einmal die Politik. Es ist eine leidige Geldgeschichte —
vollst tont. Aber wenn wir so mancher weltberühmten, poetisch
ausgeschmückten, romantischen Geschichte auf den Grund sehen
wollten, was würden wir da anderes finden, als ebenfalls eine
— Geldgeschichte!
In der Mitie des achtzehnten Jahrhunderts wurde die myste-
riöse Geschichte der „eisernen Maske" *) zuerst in die Oeffentlich-
keit gebracht, und zwar in einem zu Amsterdam 1745 gedruckten
Büchlein: „Memoiren zur Geheimgeschichte Persiens" (Äemoirsp
sscrsts pour sercir st I'iristoiro äs ksrse), ohne Angabe des
Verfassers. Das Ganze war eine Geschichte der politischen und
galanten Verhältnisse des französischen Hofes unter erdichteten
und auf Persien übertragenen Namen. Es machte so viel Auf-
sehen, daß es bald in dritter Auflage, mit einem „Schlüssel" ver-
sehen, erschien. Darin wurde unter anderem erzählt, daß ein
Prinz Giaser (der Graf von Vermandois, Sohn Ludwigs XIV.
und der La Balliere) dem legitimen Kronprinzen Scphi-Mirza
ider Dauphin Ludwig) eine Ohrfeige gegeben habe. Cha-Abas
(Ludwig XI V.) habe nun den Prinzen Giafer, nachdem man ihn
für tot ausgegeben, in die Festung der Insel Ormus (St. Mar-
guerite) gefangen gesetzt, nachdem man ihm das Antlitz ver-
stümmelt und dasselbe noch obendrein unter einer eisernen Larve
verborgen hatte.
Diese Anekdote, von Voltaire **) in die Welt hinausgesandt,
machte unglaubliches Aufsehen und rief eine solche Fülle von
Streitschriften hervor, daß man dieselben hier unmöglich alle an-
führen kann; auf Liese Anekdote auch basirten sich die meisten
zunächst folgenden „Versionen" und Enthüllungen über den ge-
heimnisvollen Gefangenen. (Der unter dem Namen Giafer erwähnte
Graf von Vermandois starb, wie die Prinzessin von Montpensier
erzählt, 1683 im Lager vor Courtray am Fieber.)
Sieben Jahre später gab Voltaire sein „Jahrhundert Lud-
wigs XIV." heraus und wiederholte darin dieselbe Anekdote,
wobei er aber die Personen bei ihren wirklichen Namen nannte.
Von nun an regnete es von neuen Entdeckungen und Ent-
hüllungen über den Mann mit der eisernen Larve, vorzüglich in
holländischen Büchern — cs war das eine Art von Wettstreit,
wer etwas „Romantischeres" oder Unwahrscheinlicheres erdichten
könne.
Man stellte nach und nach folgende „Prätendenten" für diese
Nolle auf:
1) Den Herzog von Beaufort, den „König der Hallen", welcher
geschichtlich bei der Belagerung von Kandia fiel. (ImArauxs
skancsi in der X-noss litksrairs 1758.)
2) Den Herzog von Momouth, Sohn Karls II. von Eng-
land, welcher 1685 als Aufwiegler enthauptet wurde. (Saint-
Foix.)
3) Arwedicks, Patriarchen von Armenien, welcher die grausame
Christenverfolgung in seinem Vaterlande anstiftete. (tlüsvalier
äs Uaulss: «I/Iwmins au inasgus äs ksr, uns vietäms äes
issouitss». karis 1825.) Aber Arwedicks bekehrte sich zum Katho-
lizismus und starb in Paris als freier Mann.
4) Matthioli, Sekretär des Herzogs von Mantua, dessen
Politik Ludwig XIV. mißfiel und der ihn deshalb cinkerkern
ließ. Derselbe starb aber schon 1681.
5) Henri Cromwell, der zweite Sohn Oliver Cromwells, von
dem man freilich nicht weiß, wo er seit 1659 lebte und wo er
starb. Aber weshalb sollte man diesen harmlosen Menschen ein-
gekerkert haben, da man seinen älteren Bruder Richard unbehelligt
als Privatmann leben ließ?
6) Ein Zwillingsbruder Ludwigs XIV., den Ludwig XIII.
bei der Geburt hatte verschwinden lassen, um jeden späteren
-t-hronstreit zu vermeiden.
Alle die Hypothesen und Streitigkeiten wurden aber gelöst,
als man am 14. Juli 1789 die Bastille zerstörte und in den
Registern derselben eine Karte aus Pappendeckel fand, auf welcher
geschrieben stand: „Foucquet"**), angekommen von der Insel
^vt. Marguerite mit einer eisernen Larve. XXX. 64. 389 000.
Kersadion."
Dieser Fund f) enthüllte mit einemmale die Wahrheit über
den geheimnisvollen Gefangenen.
Derselbe war niemand anderer als der famose Finanzminister
-udwigs XIV., den dieser Monarch seiner großartigen Mal-
öersationen und zugleich seiner rebellischen Pläne wegen ein-
lerkern ließ. Und da derselbe trotzdem Anhänger behielt unter
keinen Kreaturen, und vor allem unter den politischen Gegnern
des Königs, und von seinem Gefängnisse aus immer und immer
wieder sich mit diesen Anhängern in Verkehr zu setzen wußte, so
hielt man es für gut, ihn im Jahre 1680 für tot auszugeben
und ihn fortan als namenlosen „verlarvten" Gefangenen zu
halten (das heißt, die Larve trug er nur, wenn er aus einem
Gefängnisse ins andere transportirt wurde) bis an seinen im
Z.uhee 1703 erfolgten wirklichen Tod. Wie einfach war diese
^»siing. Und überdies stimmten mit dieser Entdeckung alle
-uebenumstände übcrcin, denn alle Vorsichten, die man in der
.. l Mr behalten diese gewohnte Bezeichnung bei. obwohl die Bc-
s wnung'. -1,'homino au liinsquo cko kor- im Deutschen richtig heißen
»Der Mann mit der eisernen Larve". So dachte auch Zichotte
' Das deutsche „Maske" bezeichnet Un ganzes Kostüm.
Z Denn Voltaire ist der anonyme Versager dieser „Memoiren"
der versuchen Geschichte.
Namens^ Zeit Ludwigs XIV. gebräuchliche Schreibweise dcs
derselbe wurde schon am 13 August 1789 in dem periodischen
mt. -Uoisirs ck'ua Patriot kraiu^ais» veröffentlicht.
Bewachung Fouquets in der Festung Pignerol anwandte, wandte
man genau so an bei der eisernen Maske in St. Marguerite;
die „eiserne Maske" taucht eben in demselben Zeitraum auf, da
der angebliche Tod Fouquets erfolgt war. Alles, was man
von den Gewohnheiten Fouquets als Gefangenen erzählte, er-
zählte man später von der eisernen Maske; man hat den Tod
Fouquets niemals präzisirt und durch irgendwelche Akten be-
wiesen.
Sobald der Gerichtshof laut Urteils vom 20. Dezember 1664
entschieden hatte, Fouquet sei schuldig befunden, in seiner Eigen-
schaft als Oberintendant der Finanzen Mißbrauch und Mal-
versationen im größten Maßstabe betrieben zu haben, und sei
deshalb für immer aus Frankreich zu verbannen und all seiner
Habe verlustig zu werden, entschied der König, daß es sehr ge-
fährlich sein würde, besagten Fouquet außerhalb des Landes zu
senden, und verwandelte dessen Strafe in lebenslänglichen Kerker.
Fouquet wurde nun sogleich durch Herrn Saint-Mars auf Schloß
Pignerol gebracht und dort gefangen gesetzt , und zwar auf die
strengste Weise.
Nun aber erfolgten neue Entdeckungen und Unruhen. Man
entdeckte eine ganze von Fouquet angezettelte Verschwörung, einen
Bürgerkrieg zu erregen und sich selber des Thrones zu bemäch-
tigen. Man fand, daß die Befehlshaber der wichtigsten festen
Plätze in seinem Solde standen, daß er ganze Regimenter aus
eigener Tasche besoldete, daß er bei fast allen fremden Negie-
rungen eigene Gesandte hatte. Ferner kam man immer wieder
auf neue Verschwörungen, welche seine Anhänger und Kreaturen
anstiftcten, um ihn zu befreien. Und diese Anhänger und be-
stochenen Freunde hatte der Krösus in allen Schichten der Gesell-
schaft, des Adels, des Militärs, sogar der Kunst und Wissen-
schaft. La Fontaine besang ihn, den verurteilten Verbrecher, in
rührenden Gedichten, die Ssvigns wiegelte alles für ihn auf,
Pelisson erhob ihn bis zum Himmel. Fouquet seinerseits suchte
sich auf alle mögliche Weise mit der Außenwelt in Verkehr zu
: setzen: er bekritzelte die silbernen Teller seines Services und warf
dieselben durch sein Gitterfenster; er schrieb Hemden und Sack-
tücher von oben bis unten an und warf dieselben ebenfalls ins
Freie. So schrieb einmal Louvois an Saint-Mars: „Ich habe
Ihren Brief erhalten zusamt dem Sacktuche, welches Herr Fou-
quet neuerlich vollgeschrieben hat. Sie können ihm sagen, daß
wenn er sortführt, auf diese Weise seine Wäsche als Papier zu
benützen, er sich auch nicht wundern darf, wenn er keine frische
mehr empfängt."
Plötzlich stirbt Fouquet, — im Jahre 1680 — aber es bleibt
bei einer einfachen offiziellen Anzeige. Seine Freunde, seine
nächsten Anverwandten zweifeln an dem Tode. Sein Poet
La Fontaine, welcher seine Ungnade jo hinreißend in Versen be-
klagte, hat keinen Vers aus seinen Tod. Sein Leichnam wird
erst nach einem Jahre nach Paris gesandt und in einer Kirche
bcigesetzt ohne eine Zeile als Grabschrist. Dangeau, welcher in
seinem Tagebuche die besonderen Vorfälle einer jeden Woche auf-
zeichnet, spricht kein Wort von diesem Ableben, und die Familie
Fouquet behauptete stets, nie nähere Details darüber empfangen
zu haben.
Zur selben Zeit, in demselben Gefängnisse, unter demselben
Gesangenwärter (oder Gouverneur, wie man's nannte) taucht
plötzlich ein Gefangener mit einer „eisernen Maske" auf, dessen
Namen niemand weiß, oder welcher vielmehr jedes Jahr unter
einem andern Pseudonym in den Briesen und Registern des
Saint-Mars figurirt, bald als Marchialy, bald als Kersadion.
Er bleibt stets unter der Aufsicht des Saint-Mars und muß
! mit ihm wandern, wenn derselbe seine Station wechselt, er folgt
ihm also auch 1698 in die Bastille. In seinen früheren Briefen
hat Saint-Mars von Fouquet stets gesprochen als von „seinem
Gefangenen", obwohl er auch andere Gefangene unter seiner Aus-
' sicht hatte; jetzt bezeichnet er mit dem Worte „mein Gefangener"
stets die eiserne Maske. Die eiserne Maske hat dieselbe Manie
wie Fouquet, Hemden, Teller und so weiter vollzukritzeln und
zum Fenster hinauszuwerfen.
Und endlich, im Jahre 1789, bei der Zerstörung der Bastille,
findet man in den Registern eine Karte, in welcher gesagt wird,
daß der Gefangene „Fouquet" eine eiserne Maske trägt.
Und doch wurden noch in den Jahren 1830, 1840, 1860
neue Dramen aufgeführt, sowie eine Oper von Ambroise Thomas:.
„Das Geheimnis der Königin oder Raymond", welche alle die
Geschichte des Mannes mit der eisernen Larve behandeln, und
überall ist derselbe — ein Zwillingsbruder Ludwigs XI V Wie
man sieht, hat nichts eine solche Zähigkeit des Lebens, wie eine
romantische Lüge.
Und nun noch ein Wort über die „Larve" selber, welche
aus Lammet mit eisernen Kinngelenken verfertigt war. Ge-
wöhnlich stellt man sich vor, daß der Gefangene dieselbe seine
ganze Gefangenenzeit hindurch trug — und das ist es, was uns
mit so viel Mitleid erfüllt und mit Grauen vor einem solchen
stets maskirten Dasein. Nun wird aber in allen authentischen
Registern und Ausweisen bestätigt, daß der Gefangene diese Larve
nur während seiner Ueberführung aus einem Gefängnisse ins
andere trug, oder wenn ein Arzt ihn besuchte. Also nur einige-
male während der Zeit seiner Gefangenschaft! Damit fällt auch
der Nimbus Lieser Folterqual weg. Und aus dem unglückseligen
Königsjohne, welcher ein ganzes Leben hindurch in einer Art
eisernen Helmes schmachtete und weinte, wird einfach ein alter,
unredlicher Beamter und Aufwiegler, den man während seiner
zwei- bis Lreinialigen Transportirungen eine Larve tragen ließ,
was übrigens in den damaligen Zeiten jede vornehme Dame auf
Reisen that.
Wo bleibt da noch eine Spur von Romantik?
Sinnsprüchc.
Der heutige Tag ist des gestrigen Schüler.
Publil. Syrus.
Freude schweift in die Welt hinaus,
Bricht jede Frucht und kostet jeden Wein;
Riefe dich nicht das Leid nach Haus,
Du kehrtest nimmer bei dir selber ein. G-ibel.
In U alter.
Novelle
von
Lucy Käse.
(Fortsetzung.)
der Thür zu ihrem Zimmer stand Konstanze
einen Augenblick still, die Hand auf die Klinke
HAK' gelegt, dann zog sie sie mit raschem Entschluß
" zurück, wandte sich um und trat auf die breite,
bedeckte Galerie, auf welche die verschiedenen
Korridore und Thüren münden; sie stand dort eine ganze
Weile regungslos und schaute hinaus auf die Berge.
Warum war ihr nur so selig zu Mut, so glückselig? „Seit
ich ihn gesehen, glaub' ich blind zu sein, sehe immer ihn
nur und nur ihn allein." Als sie abends zusammen am
Fenster saßen und der Mond sein zauberisches Licht über
das Meer und die Berge warf und in das kleine Zimmer,
sagte Tante Olga zu Konstanze, die auf niederem Tabourct
zu ihren Füßen saß:
„Singe mir doch etwas, liebes Kind."
Und sie weigerte sich nicht, es war ihr, als müsse sie
laut hinausjubeln in die Welt, was ihr Herz so voll, so
selig machte. Anfangs klang ihre Stimme verschleiert,
aber dann tönte sie mächtig, klar und voll wie eine Glocke
durch das kleine Zimmer und über das Meer hin, das
rauschend accompagnirte. Sie sang eine deutsches Lied:
„Herz, mein Herz, was soll das geben.
Was bedränget dich so sehr?
Welch ein neues, fremdes Leben,
Ich erkenne dich nicht mehr."
Da klangen plötzlich weiche, klare Geigentöne herüber,
eS war eine süße, schwermütige, russische Weise. Konstanze
horchte auf, es klang wunderschön in der stillen, schwülen
Sommernacht und bewegte ihr wundersam das Herz.
Wer mochte doch der Geiger sein, der seinem Instru-
ment solch klare, weiche Töne zu entlocken wußte? Wie
gut sie zu dem bleichen Mondschein, zum Sternengefunkcl
und dem leisen Rauschen der Wogen paßten!
Das Lied war verklungen, Konstanze saß still in
Gedanken, ohne sich zu regen.
„Willst Du mir nicht -los xstits oisoaux' singen?"
fragte Tante Olga.
Konstanze fuhr auf wie aus einem Traum, ihre Stimme
klang wundervoll rein und klar, und jetzt fiel die Geige
von drüben ein, sie begleitete; und Konstanze sang, wie sie
noch nie das kleine Lied gesungen, und plötzlich wußte sic,
wer der Geiger war. Wer hätte sie so begleiten können,
wenn er's nicht wäre?
„Wer mag dort drüben wohnen?" sagte die Gräfin,
„es klang sehr gut, da er Dich begleitete."
Konstanze legte ihren Kops in der Tante Schoß.
„Bist Du sehr müde?" fragte diese.
„Nein, Tante Olga, gar nicht; ich könnte jetzt singen
die ganze Nacht, ohne zu ermüden."
„Ach nein, liebe Konstanze, jetzt mußt Du aufhörcn.
Du tonntest Deiner Stimme schaden und das würde mir
unendlich leid thun," sagte die Tante. „Morgen mußt
Du mir wieder ein paar Lieder singen, jetzt laß uns etwas
plaudern."
Sie sprachen von Konstanzens verstorbener Mutter,
von ihrem Vater, und Tante Olga erzählte mancherlei
aus ihrem eigenen Leben; von drüben aber klangen noch
immer die klaren, süßen Gcigentöne in schwermütigen
russischen Weisen herüber.
Und alle Abende wartete er auf Konstanze und sie
gingen zusammen die Straße aus und ab und sprachen
über gleichgiltige Dinge; aber jedes Wort, das er sprach,
grub sich in Konstanzens Herz und wiegte es in süßen,
lieblichen Traum, und einstmals hatte er gefragt:
„Sie singen auch, mein Fräulein?"
„Ein wenig," hatte sie erwidert.
Und daraus hatte er sie mit ernsten, dunklen Augen
groß angeschaut.
„Wissen Sie auch, daß Sie sündigen, wenn Sie sagen
nn wenig, da Gott Ihnen doch solch herrliche, gewaltige
Stimme verliehen hat?"
Sie war leise errötet.
„Und Sie spielen die Geige, nicht wahr?" hatte sie
gefragt.
„Ich" sagte er.
„Sie sind ein Meister!" hatte sie ausgerufcn, er aber
hatte erwidert:
„Ich verstehe nicht die Ideen der Meister rein und
klar, wie sie in »reiner Seele leben, mit der Geige wiedcr-
zugeben, ich bin ja auch nur ein Dilettant."
Eines schönen, warmen Sommerabends sagte die Tante:
„Komm, Konstanze, wir wollen in den Stadtgartcn
gehen."
Es war am Tage sehr stürmisch gewesen und das
Meer hatte sich noch nicht ganz beruhigt; große, wilde
Wogen wälzten sich mit donnerähnlichem Getöse gegen
den steinernen Quai. Das Meer sah ganz schwarz aus,
blendend hoben sich die schneeweißen Wellenkämme von
den dunklen Fluten ab. Es war nicht weit bis zum