...
^jrb^nunilllreissrgrter ^«hrgsng.
HlrtttMt. Aeiprig, Hrrli». Hisn.
Ein kleiner Roman auf der Treppe. II. Gemälde von V. Corcos. (S. 544.)
Hatte sie sich auch mit der Möglichkeit einer Verwundung
ihres Sohnes vertraut gemacht, so halte doch im Grunde
ihres Herzens immer noch die Hoffnung den Platz be-
hauptet und die Wirklichkeit traf sie darum nicht minder
hart. Ihre erregbare sanguinische Natur, welche unter Um-
ständen alles leicht auffaßte und überwand, war auf der
andern Seite auch ebenso geneigt, schwarz zu sehen, und die
lange Krankheit, welche sie unter stets andauernder Lebens-
gefahr für ihren Sohn voraussah, war gerade für ihr Tem-
perament eine doppelte Qual, so daß zu ihrem eigene» Ent-
setzen die unmutige Frage an den Himmel in ihr aufstieg,
ob es nicht besser gewesen wäre, wenn durch den verhäng-
nisvollen Stoß gegen Axels Brust all dieser Qual auf
einmal ein Ende gemacht worden wäre, denn sie vermochte
cs kaum, sich zu der Hoffnung emporzuheben, daß Axel
wirklich wieder genesen werde. Dessenungeachtet that sie
tapfer und unerschrocken ihre Pflicht: sic teilte sich mit
Mathilde in die Pflege Axels; eine von ihnen beiden war
stets an seinem Bett, während die andere dann den übri-
gen Verwundeten ihre Sorge zuwcndete.
Nicht minder schmerzlich bewegt war Mathilde; sie
liebte ihren Bruder zärtlich, und nach all dem bitteren
Kummer, welchen sie in der letzten Zeit in sich durch-
gekämpft und vor allen Blicken verborgen hatte, war er
fast das einzige Band, das sie mit dem Leben verknüpfte.
Aber trotz der angstvollen Bekümmernis um das Leben
des Bruders litt sie fast ebenso sehr unter dem Eindruck
ihrer Begegnung mit Friedrich. 'Als sie so plötzlich ihm
gegenüber stand, den sie nicht wiederznsehen geglaubt hatte,
war in einer ihr selbst unerklärlichen Gefühlswallung alle
Bitterkeit des so ' '
das alte Gefühl,
tief gekränkten Stolzes verschwunden,
das von ihrer Kindheit her mit ihr er-
wachsen war, hatte sie mit überwälti-
gender Macht zu ihm hingezogen. Die
preußische Soldatenuniform, die er
trug, erinnerte sie daran, daß er von
seinem Vater verstoßen war, und die
mutige Treue, mit welcher er für seine
Ueberzeugung einstand, konnte ihm
in ihren Augen nicht zum Vorwurf
gereichen. Inniges Mitleid und ach-
tungsvolle Bewunderung mischten sich
in ihrem Herzen mit den alten warmen
Erinnerungen. Und so war sie ihm
entgegengetrctcn; sie hatte so fehr die
Vergangenheit in jenem Augenblick
vergessen, daß sich fast eine Hoffnung
in ihrem Herzen regte, ob alles wohl
dennoch zu freundlicher Lösung sich
fügen könnte. Da aber war er wie
vor einem Schreckbild zurückgewichcn,
er hatte ihre Hand nicht angenommen
und wäre es auch nur zur Versöhnung
mit der Jugendgcspielin gewesen, er
hatte kein anderes Wort für sie ge-
habt, als die Mitteilung von Axels
Unglück, und dann war er geflohen
mit dem dumpfen Ruf, sie möge ihm
nicht fluchen. Zu dem tiefen Schmerz,
den sie über diese Begegnung empfand,
trat von neuem der tief verletzte Stolz.
Mußte er nicht geglaubt haben, daß
sie trotz deS demütigenden Vorganges
in Glücksburg noch an die Möglichkeit
dachte, die Pläne seines Vaters den-
noch anszuführen, daß sie ihm in
solcher Hoffnung, in solchem Wunsche
entgegengetreten sei, vielleicht in dem
Gedanken, daß die Not ihn gefügiger-
gemacht haben möchte. Und warum
war er so schnell, so entsetzt entflohen?
Das Blut schoß ihr glühend zu den
Schläfen bei solchen Gedanken und
heiße Thränen stürzten aus ihren
Augen. Und wieder mußte sie all dies
- Leid allein tragen! Sie hatte ihrer
Mutter nichts von der Begegnung mit
Friedrich gesagt; es war ihr unmöglich,
das Wort über ihre Lippen zu bringen,
und was hätte es auch nützen sollen?
Es gibt schmerzliche Kränkungen
und Demütigungen, die man nnr allein
tragen kann, die so schwer sind, daß
man sie auch vor dem Nächsten im
Leben nicht auszusprechcn vermag, und
70
Roman
von
Gregor Samarow.
Neunundzwanzigstes Kapitel.
chon nach den ersten Kämpfen hatten die Da-
men in Kopenhagen mit Eifer sich der Für-
sorge für die Verwundeten gewidmet, zunächst
freilich nur in den dänischen Lazareten, aber
als cs bekannt wurde, mit wie außerordent-
licher Sorgfalt die dänischen Verwundeten auf preußischer
die dänischen
Seite behandelt wurden, da waren auch
Pflegerinnen dorthin gekommen, um
sich an dem Werke der Barmherzigkeit
zu beteiligen und um ihren verwun-
deten Landsleuten auch durch die
Sprache behilflich zu sein, da sich
dieselben mit den deutschen Aerzten
und Pflegerinnen nicht verständigen
konnten.
So war denn auch die Gräfin
Stören mit Mathilde nach Graven-
stein gekommen und die Damen hatten
dort unmittelbar vor den entscheiden-
den Kämpfen bereitwillig Aufnahme
als Pflegerinnen in dem Lazaret ge-
funden ; sie hatten eine kleine Wohnung
in der Stadt genommen, um sich zu-
weilen von den schweren Anstrengun-
gen im Dienst der Barmherzigkeit zu
erholen und ihre Kräfte wieder stärken
zu können. Aber nach den Sturm- -
tagen war davon kaum noch die Rede,
so sehr wurden alle vorhandenen Kräfte
zur Pflege der Verwundeten in An-
spruch genommen, für welche immcr
noch neue Räume heraerichtet werden
mußten.
Die Gräfin hatte, als sie, auf
Mathildens Botschaft herbeieilcnd,
den so schwer verwundeten Sohn fand,
Axel zunächst nach ihrer Wohnung
bringen lassen wollen, da es unmög-
lich war, in dem Lazaret ein eigenes
Zimmer für ihn zu erhalten, aber die
>Lorge für den Kranken selbst hatte
die Gräfin bestimmt, diesen Gedanken
aufzugeben, der nochmalige Transport
hätte für ihn lebensgefährlich sein
müssen und die überlasteten Aerzte
hatten keine Zeit, um noch Besuche
m der Stadt zu machen. So war
denn Axel mit noch zwei Verwunde-
ten in ein freundliches Zimmer des
alten Amtshauses gelegt worden, wo
die Gräfin und Mathilde ihm vor-
zugsweise ihre Sorge widmeten. Die
Aerzte hatten wenig Hoffnung für
Legem Die Wunde war nicht
unbedingt tödlich, aber die Heilung
war unsicher und jedenfalls so lang-
dstkrig, daß es zweifelhaft schien, ob
me Kräfte ausreichen würden, die
Natur zu unterstützen.
Die Gräfin war schwer erschüttert.
Jllustr. Wcll. 188g. LL
^jrb^nunilllreissrgrter ^«hrgsng.
HlrtttMt. Aeiprig, Hrrli». Hisn.
Ein kleiner Roman auf der Treppe. II. Gemälde von V. Corcos. (S. 544.)
Hatte sie sich auch mit der Möglichkeit einer Verwundung
ihres Sohnes vertraut gemacht, so halte doch im Grunde
ihres Herzens immer noch die Hoffnung den Platz be-
hauptet und die Wirklichkeit traf sie darum nicht minder
hart. Ihre erregbare sanguinische Natur, welche unter Um-
ständen alles leicht auffaßte und überwand, war auf der
andern Seite auch ebenso geneigt, schwarz zu sehen, und die
lange Krankheit, welche sie unter stets andauernder Lebens-
gefahr für ihren Sohn voraussah, war gerade für ihr Tem-
perament eine doppelte Qual, so daß zu ihrem eigene» Ent-
setzen die unmutige Frage an den Himmel in ihr aufstieg,
ob es nicht besser gewesen wäre, wenn durch den verhäng-
nisvollen Stoß gegen Axels Brust all dieser Qual auf
einmal ein Ende gemacht worden wäre, denn sie vermochte
cs kaum, sich zu der Hoffnung emporzuheben, daß Axel
wirklich wieder genesen werde. Dessenungeachtet that sie
tapfer und unerschrocken ihre Pflicht: sic teilte sich mit
Mathilde in die Pflege Axels; eine von ihnen beiden war
stets an seinem Bett, während die andere dann den übri-
gen Verwundeten ihre Sorge zuwcndete.
Nicht minder schmerzlich bewegt war Mathilde; sie
liebte ihren Bruder zärtlich, und nach all dem bitteren
Kummer, welchen sie in der letzten Zeit in sich durch-
gekämpft und vor allen Blicken verborgen hatte, war er
fast das einzige Band, das sie mit dem Leben verknüpfte.
Aber trotz der angstvollen Bekümmernis um das Leben
des Bruders litt sie fast ebenso sehr unter dem Eindruck
ihrer Begegnung mit Friedrich. 'Als sie so plötzlich ihm
gegenüber stand, den sie nicht wiederznsehen geglaubt hatte,
war in einer ihr selbst unerklärlichen Gefühlswallung alle
Bitterkeit des so ' '
das alte Gefühl,
tief gekränkten Stolzes verschwunden,
das von ihrer Kindheit her mit ihr er-
wachsen war, hatte sie mit überwälti-
gender Macht zu ihm hingezogen. Die
preußische Soldatenuniform, die er
trug, erinnerte sie daran, daß er von
seinem Vater verstoßen war, und die
mutige Treue, mit welcher er für seine
Ueberzeugung einstand, konnte ihm
in ihren Augen nicht zum Vorwurf
gereichen. Inniges Mitleid und ach-
tungsvolle Bewunderung mischten sich
in ihrem Herzen mit den alten warmen
Erinnerungen. Und so war sie ihm
entgegengetrctcn; sie hatte so fehr die
Vergangenheit in jenem Augenblick
vergessen, daß sich fast eine Hoffnung
in ihrem Herzen regte, ob alles wohl
dennoch zu freundlicher Lösung sich
fügen könnte. Da aber war er wie
vor einem Schreckbild zurückgewichcn,
er hatte ihre Hand nicht angenommen
und wäre es auch nur zur Versöhnung
mit der Jugendgcspielin gewesen, er
hatte kein anderes Wort für sie ge-
habt, als die Mitteilung von Axels
Unglück, und dann war er geflohen
mit dem dumpfen Ruf, sie möge ihm
nicht fluchen. Zu dem tiefen Schmerz,
den sie über diese Begegnung empfand,
trat von neuem der tief verletzte Stolz.
Mußte er nicht geglaubt haben, daß
sie trotz deS demütigenden Vorganges
in Glücksburg noch an die Möglichkeit
dachte, die Pläne seines Vaters den-
noch anszuführen, daß sie ihm in
solcher Hoffnung, in solchem Wunsche
entgegengetreten sei, vielleicht in dem
Gedanken, daß die Not ihn gefügiger-
gemacht haben möchte. Und warum
war er so schnell, so entsetzt entflohen?
Das Blut schoß ihr glühend zu den
Schläfen bei solchen Gedanken und
heiße Thränen stürzten aus ihren
Augen. Und wieder mußte sie all dies
- Leid allein tragen! Sie hatte ihrer
Mutter nichts von der Begegnung mit
Friedrich gesagt; es war ihr unmöglich,
das Wort über ihre Lippen zu bringen,
und was hätte es auch nützen sollen?
Es gibt schmerzliche Kränkungen
und Demütigungen, die man nnr allein
tragen kann, die so schwer sind, daß
man sie auch vor dem Nächsten im
Leben nicht auszusprechcn vermag, und
70
Roman
von
Gregor Samarow.
Neunundzwanzigstes Kapitel.
chon nach den ersten Kämpfen hatten die Da-
men in Kopenhagen mit Eifer sich der Für-
sorge für die Verwundeten gewidmet, zunächst
freilich nur in den dänischen Lazareten, aber
als cs bekannt wurde, mit wie außerordent-
licher Sorgfalt die dänischen Verwundeten auf preußischer
die dänischen
Seite behandelt wurden, da waren auch
Pflegerinnen dorthin gekommen, um
sich an dem Werke der Barmherzigkeit
zu beteiligen und um ihren verwun-
deten Landsleuten auch durch die
Sprache behilflich zu sein, da sich
dieselben mit den deutschen Aerzten
und Pflegerinnen nicht verständigen
konnten.
So war denn auch die Gräfin
Stören mit Mathilde nach Graven-
stein gekommen und die Damen hatten
dort unmittelbar vor den entscheiden-
den Kämpfen bereitwillig Aufnahme
als Pflegerinnen in dem Lazaret ge-
funden ; sie hatten eine kleine Wohnung
in der Stadt genommen, um sich zu-
weilen von den schweren Anstrengun-
gen im Dienst der Barmherzigkeit zu
erholen und ihre Kräfte wieder stärken
zu können. Aber nach den Sturm- -
tagen war davon kaum noch die Rede,
so sehr wurden alle vorhandenen Kräfte
zur Pflege der Verwundeten in An-
spruch genommen, für welche immcr
noch neue Räume heraerichtet werden
mußten.
Die Gräfin hatte, als sie, auf
Mathildens Botschaft herbeieilcnd,
den so schwer verwundeten Sohn fand,
Axel zunächst nach ihrer Wohnung
bringen lassen wollen, da es unmög-
lich war, in dem Lazaret ein eigenes
Zimmer für ihn zu erhalten, aber die
>Lorge für den Kranken selbst hatte
die Gräfin bestimmt, diesen Gedanken
aufzugeben, der nochmalige Transport
hätte für ihn lebensgefährlich sein
müssen und die überlasteten Aerzte
hatten keine Zeit, um noch Besuche
m der Stadt zu machen. So war
denn Axel mit noch zwei Verwunde-
ten in ein freundliches Zimmer des
alten Amtshauses gelegt worden, wo
die Gräfin und Mathilde ihm vor-
zugsweise ihre Sorge widmeten. Die
Aerzte hatten wenig Hoffnung für
Legem Die Wunde war nicht
unbedingt tödlich, aber die Heilung
war unsicher und jedenfalls so lang-
dstkrig, daß es zweifelhaft schien, ob
me Kräfte ausreichen würden, die
Natur zu unterstützen.
Die Gräfin war schwer erschüttert.
Jllustr. Wcll. 188g. LL