AiebeitttinlllreissigLter Jahrgang.
4. Lest.
Atnttgart. Aeinig, ?§rrltit. Hirn.
Im Untersuchungsgefängnis. Gemälde von Frank Holl. (S. 83.)
Vom Kalnsciner Walde her ertönten Geklingel, Peit-
schengeknall, Hundegebell! Vierspännige Schlitten hielten
vor dem Schloßthore, denen Herren, in Pelz gehüllt, mit
Flinten und Hirschfängern bewaffnet, entstiegen, vom Herrn
des Hauses, dem Grafen Minsky, herzlich empfangen.
Er sah stattlich aus in seinem pelzverbrämten Jagdrock,
den schweren Juchtenstiefeln. Die Jagdlust gab seineni iu
letzter Zeit etwas bleichen Gesicht eine gesunde, kräftige
Farbe, das Auge blitzte lebendig, der ganze Körper erschien
jugendlicher, frischer.
Man begab sich zu einem kleinen Frühstück — es wurden
ja noch weitere Gäste erwartet — in den Saal, wo Gräfin
Marciana die Honneurs machte.
So himmlisch schön erschien sie Wladimir noch nie,
der sich unter der Menge der Gäste vor ihr zu verbergen
suchte, im Vergleich mit diesen in zottige Mäntel gehüllten,
nach Stiefelschmiere riechenden, lärmenden, trinkenden Män-
nern; Minsky nahm cs diesmal nicht so genau mit den
Einladungen, den Hauptzweck im Auge. Ihre weißen
Hände tauchten überall auf, wie junge Möwen über
schmutzig grauen Wogen, ihr edles, blendendes Antlitz mit
dem liebenswürdigen Zug der vornehmen Hausfrau, der
jeden Trunk würzt, beleuchtete förmlich die dunklen, bärtigen
Köpfe rings umher. Vergebens suchte er darin die Stunde
in der Kapelle. Als sie selbst auf ihn zutrat und ihm
die Hand zum Morgengruß reichte, da zögerte die seine,
als sei sie nicht mehr würdig dieser Berührung.
„Wir werden bei Cyrill die Rückkehr der Herren er-
warten, Elenor und ich. Dort endet, wie ich höre, die
Jagd," sagte sie unbefangen. „Ihren kranken Nerven
wird dieser Tag im Walde sehr wohl thun! Sehen Sie
nur einmal meinen Mann an, wie er vortrefflich aussicht,
nur im Vorgefühl der Jagdlust. Weidmanusheil, Graf
Wladimir!"
Er antwortete nichts, die Kehle war ihm zugeschnürt.
„Das vermag nur ein Weib," dachte er sich und blickte
ihr blöde nach.
Sie ging zu Minsky, knöpfte ihm vorsorglich das
Pelzwams zu, goß ihm ein Glas Rotwein ein und ließ
geduldig seine schwere Hand um ihr weiches Kinn streichen.
Wladimir konnte keinen Blick davon wenden. Die dunkle
Röte, die in Minskys Gesicht aufstieg bei dieser Berührung,
empörte sein Blut, cs kam ihm vor als wie ein frecher
Raub, Elenors Stimme erst zog ihn ab, die, bis jetzt in
Justr; dev Seele
Roman
von
Anton Areiyerr von Serfass.
iv-
graue Nebel lagen über dcr Landschaft,
^in Lüftchen regte sich, nur das Krächzen
der Raben tönte von allen Seiten aus der
gestaltlosen Leere und hie und da ward eine
Schar der schwarzen Gesellen sichtbar, die
über das Schloß dahinsauste, dann auf den
Dachfirsten sich lärmend niederließ.
Und das sollte ein Jagdmorgen sein!- Brandmann
schritt, Verwünschungen ausstoßend, den Stallungen zu,
woher jetzt das Bellen und Lärmen einer ungeduldigen
Meute drang. Im Hofe standen abenteuerliche, in alle
möglichen Fetzen gehüllte Gestalten mit schweren Knütteln,
einige sogar mit alten Flinten
über der Achsel — die Trei-
ber! Ihr ehrerbietiger Gruß
wurde von dem Alten nicht er-
widert, drohend schwang er die
mächtige Peitsche gegen die jetzt
in wilden Sätzen mit ohren-
zerreißendem Geheul ihren
wohlvergitterten Käfig durch-
tobenden Hunde.
Er ärgerte sich offenbar
über die unverhohlene Freude
seiner Unterthanen und klat-
schend fiel links und rechts die
Knute. Es waren mächtige
Tiere, Wolfshunde mit grim-
migem Blick und drohendem
Gebiß; ihnen war nur um die
ersehnte Freiheit zu thun, sie
finden den Eber, den Bären
auch im Nebel, um an ihnen
ihr Mütchen zu kühlen. Zwei
zu zwei zusammengekoppelt,
wurden sie an die Treiber ver-
teilt. Sie brachten Leben in die
noch halbverschlafene Gruppe;
vor Jagdlust zitternd, geifernd,
zerrten sie die Führer hin nnd
her, sprangen heulend, winselnd
an den Männern empor, knurr-
ten, rauften, balgten voll
Eifersucht und Kampfesinut,
daß die Leinen zu Knäueln sich
verwickelten — die Knüttel fuh-
ren auf die struppigen Rücken,
Wehgeheul, Gelächter, Fluch-
worte, Zuruf erschallten, in den
Ställen grunzten und quiekten
die Schweine, brüllten die
Rinder, erschreckt von unge-
wöhnlichem Lärm. Vorbei war
eS mit der Ruhe, die Raben
flogen kreischend dem Walde
zu, der sich jetzt in verschwom-
menen Umrissen anS dem Ne-
bel hob.
Jllustr. Welt. I88g. 4.
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