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IS. K-ft

Roman

Tesdemona. Gemälde von Alexander Cabanel. (S. 349.)

der
und

Wort von Politik kam über seine Lippen; er lenkte das
Gespräch auf seinen Lieblingsgegenstand, den er in ein-
gehendem Studium verfolgte, die nordischen Altertümer,
wie man sie in dem sogenannten Riesenbecken Skandinaviens
findet, er stellte den Sah auf, daß in der vorhistorischen
Zeit das Menschengeschlecht in dem geistigen und sitt-
lichen Gehalt seines Lebens auf einer weit höheren Stufe
gestanden habe, als die heutige Welt und namentlich die
Gelehrten in ihrer engherzigen Selbstüberhebung es zu-
gestehen wollten, da man bei einigen! Eindringen in das
Verständnis der Altertümer stets finde, daß selbst die
primitivsten Denkmäler grauer Vorzeit die Sprache einer

Vierzehntes Kapitel.
er König blieb, als er in den Salon zurück-
gekehrt war, ein wenig zögernd vor den
Damen stehen, es schien ihm, als wäre er
unschlüssig, ob er
seine Gemahlin
oder die Gräfin Stören zur Tafel
führen solle, aber die Gräfin
Danner trat, indem sie, nur von
ihm bemerkt, ein leichtes ver-
neinendes Zeichen machte, weit
zurück und streckte ihre Hand
" 'daß
ihre

dein Baron entgegen, so
dieser gezwungen war, an
Seite zu treten.
Der König bot nun
Gräfin Stören seinen Arm
schritt mit ihr in den kleinen
Speisesaal des Schlosses.
Die Gräfin führte den Baron,
ihre Hand fester auf dessen Arm
stützend, so daß er zur linken
Seite des Königs zn stehen kam;
dann eilte sic schnell um die Tafel
herum und wählte ihren Platz
zur Rechten des Hofmarschalls
von Loewenskjold, der dem Könige,
der Etikette gemäß, gegenübersaß,
indem sie zugleich Agnes einen
Wink gab, sich ebenfalls zurrech-
ten Seite des Hofmarschalls zu
setzen.
Der König schien einen Au-
genblick über dies Arrangement,
das die Gräfin Danner mit so
schneller Sicherheit ausführte,
betroffen, einen Augenblick drückte
sich in seinem Gesicht eine leichte
Verstimmung aus, aber als er
dem Blick seiner Gemahlin be-
gegnete, klärten sich seine Züge
wieder auf und durch ein leichtes
Kopfnicken gab er seine Zustim-
mung zu erkennen.
Er schien außerordentlich hei-
ter, die ernsten Regierungssorgen,
über welche er sich eben noch mit
dein Baron von Blomstedt unter-
halten hatte, übten keinen Ein-
fluß auf die vortreffliche Laune,
welche er heute fast immer bei
der Tafel zeigte. Er war von
der verbindlichsten Liebenswür-
digkeit für alle seine Gäste, hatte
für jeden eine freundliche und
artige Bemerkung und wußte auch
jedem Gelegenheit zu geben, seiner-
seits an der meist allgemeinen,
an der kleinen Tafel geführten
Konversation teilzunehmen. Kein
Jllustr. W-lt. I88S. IL.

bedeutungsvollen Symbolik redeten. Er sprach über alle
diese Dinge mit so viel Lebhaftigkeit, so viel eingehender
Kenntnis; er führt: Beispiele an und erzählte von neuen
merkwürdigen Funden, ließ auch von seinem Kammerdiener
aus seinem Kabinet einige alte Schmuckgegcnstände, die
man vor kurzem aufgefunden, herbeibringen und die Runde
um die Tafel machen, daß die Unterhaltung immer belebter
und ungezwungener wurde — ohne den königlichen Glanz
der Tafel und die Hoflivreen der Lakaien hätte man zu-
weilen glauben können, daß eine Gesellschaft von guten
Freunden sich um den Tisch eines Gelehrten versammelt
habe, um die interessantesten Fragen der Archäologie und
Ethnologie zu erörtern.
Aller Zwang verschwand, je-
der sprach, vom König angeregt,
frei seine Gedanken auS und
Friedrich besonders, dem das
vom König mit Vorliebe kulti-
virte Gebiet ebenfalls sehr ge-
läufig war, zeigte so viel Sach-
kenntnis und so viel Verständnis
für die aufgeworfenen Fragen,
daß der König, ihm mehrfach
freundlich zunickend, seinen Wor-
ten lebhaft beistimmte.
Die Gräfin Danner hielt sich
außerordentlich zurück, selbst wenn
der König sich unmittelbar an sic
wendete, wußte sie stets durch
eine geschickte und ganz absichts-
los erscheinende Wendung der
Gräfin Stören das Wort zuzu-
wenden, so daß diese neben dem
König immer den Mittelpunkt
der Konversation bildete.
Die Stimmung wurde immer
heiterer und behaglicher. Jeder
aus der Gesellschaft schien alles,
was ihn sonst beschäftigte, zu
vergessen über den vielen neuen
und inhaltsvollen Gedanken,
welche der König anregte und
welche, obgleich sie sich immer
um den einen Lieblingsgegenstand
seines Studiums bewegten, doch
saft alle Gebiete deS menschlichen
Lebens und Wissens umfaßten.
Mathilde blickte verwundert
zu Friedrich auf, den sie noch
niemals in großer Gesellschaft so
lebhaft gesehen hatte, und wenn
der König irgend einer seiner
Bemerkungen Beifall spendete,
wenn er ihn scherzend seinen
Kollegen nannte und anerken-
nende Verwunderung über seine
Kenntnisse nnd sein Verständnis
aussprach, so leuchtete wohl freu-
diger Stolz in ihren Augen auf
und ein glückliches Lächeln spielte
um ihre Lippen. Nur der Baron
zeigte während der ganzen Tafel
eine gewisse Befangenheit und
blickte zuweilen in ängstlicher Un-
ruhe auf, wenn eine augenblick-
liche Pause in dem Gespräch
einlrat.
Endlich war man bis zum
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von
Gregor Samarow.
 
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