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26. Keft.

Krn!tü»rt, Heiprig, Derlin, ^irir.

Am Kett.
Roman
Von
Gregor Samarow.
(Tchluß)
incs späten Abends saß Mathilde in dem
Krankenzimmer neben Friedrichs Lager. Noch
hatte dieser sein klares Bewußtsein nicht
wiedergefunden, doch war er ruhiger ge-
worden. Die Fieberglut mäßigte sich und
der Arzt hatte in einigen Tagen die Wiederkehr des Be-
wußtseins in Aussicht gestellt.
Man hörte hinter dem Schirm, der die beiden Lager-
stätten trennte, Axels ruhige Atemzüge.
Bei einer nach der Seite des Kranken
hin geblendeten Lampe hatte Mathilde

Mathilde legte ihre Hand auf die seine.
Diese war feucht, die trockene Hitze, welche der Arzt
als schädlich bezeichnet hatte, war verschwunden.
Fast schien cs, als ob die Berührung der Hand auf
den Kranken eine magnetische Wirkung übte — er streckte
sich behaglich auS; seine Atemzüge wurden ruhiger, ciu
glückliches Lächeln spielte um seine Lippen.
„Mathilde," sagte er leise wie ein Hauch, „Mathilde,
da schwebt Dein Bild wieder heran, das Bild, das immer
aus den Tiefen meiner Seele auftaucht, wohin ich meinen
Blick auch wenden möge, Dein Bild, das ich immer in
mir getragen von den Tagen der Kindheit an, von dem
ich mich abgewcndct habe, als das Leben mir noch freund-
lich lächelte, und dem nun meine ganze Seele sich zuwendct
in den Tagen des Unglücks."
Mathilde zuckte zusammen: Helle Glut flammte in ihren:
Gesicht auf: erschrocken wich sic zurück. Wie suchend erhob
der Kranke die Hand,


„O, weiche nicht von mir, Du holdes Bild," sagte er,
„Weiche nicht von mir — ist doch alle irdische Hoffnung
für mich verloren, so bringst Du mir doch Trost und
Freude, Du holdes Bild, das mir vom vergangenen, ver-
lorenen Glück erzählt — verzeih mir, was ich gcthan habe
in trotziger Verblendung, verzeih mir jetzt, ehe mein
Leben verloren ist! Ich fühle cs ja, daß ich Dich liebe —
Dich allein lieb habe immer und immer'— o, verlaß mich
nicht, bleibe bei mir!"
Er hob beide Hände empor; langsam öffneten sich
seine Augen, mit starren Blicken sah er Mathilde an, aber
in diesen Blicken dämmerte das Licht des Verständnisses auf.
„Da bist Du ja," sagte er, „da bist Du, immer deut-
licher erkenne ich Dich — o, sieh mich nicht so entsetzlich
an, wende Dich wieder zu mir, freundlich und lächelnd,
wie ich Dich einst sah, ehe die Verblendung meinen Geist
ergriff!"
Wieder erhob er seine Arme zu ihr, da aber plötzlich
nahm sein Gesicht einen furchtbaren Aus-
druck des Schreckens und der Verzwcif-

gelesen, aber das Buch war in ihren
Schoß gesunken und sinnend blickte sie
in Friedrichs bleiches Gesicht, vergangener
Zeiten gedenkend, der Jugendspiele, der
Träume, die einst ihr Herz erfüllt hatten.
Eine Thränc perlte an ihrer Wimper
und rann langsam über ihre Wangen herab.
Da hörte sie, wie Axel sich nnruhig
umherwarf.
„Steht fest!" rief er mit jenem
dumpfen Ton der im Schlaf Redenden,
aber doch völlig vernehmbar, „steht fest
— schlagt sie zurück — noch haben wir
die Kanonen — noch ist die Schanze zu
halten — da dringen sie an — macht
die Kanonen frei, das ist unsere einzige
Rettung — der eine liegt — nieder mit
dem andern! — O mein Gott! Friedrich
— das ist Friedrich — halt ein, Friedrich
— denke an Agnes — die arme Agnes
— wehe — wehe, es ist zu spät —"
Seine Worte erstarben in einem rö-
chelnden Ton, der schauerlich durch das
Zimmer klang.
Mathilde war aufgesprungen und
stürmte zu ihrem Bruder hin. Sie flößte
ihm den verordneten Trank ein. Schnell
that derselbe seine Wirkung.
Axel öffnete die Angen, blickte umher
und sagte tief aufscufzend:
„Ich habe geträumt, Mathilde —
böse Träume — ich dauke Dir, daß Du
mich erwecktest! Jetzt will ich schlafen —
wieder schlafen — o, der Schlaf thut so
wohl — der Schlaf bringt die Kraft
wieder — ich fühle es, aber nicht träumen,
nickt so träumen — die Wirklichkeit ist
traurig genug — der Traum soll rein
und frei bleiben."
Er drückte seiner Schwester die Hand
und schloß abermals die Augen.
Noch einen Augenblick lauschte Ma-
thilde seinen ruhigen Atemzügen: dann
kehrte sie zu Friedrichs Lager zurück.
Er bewegte zitternd die Lippen und
warf sich unruhig hin und her.
Der laute Ruf seines Namens mochte
trotz des Fiebers von ihm vernommen
worden sein.


Kassensturz. Gemälde von August Heyn. (S. 616.)

lnng an.
„Ja," rief er, „ja, Du hast recht,
mich so anzusehcn, ja, Du hast recht, mich
von Dir zu stoßen und Dich abzuwendcn
von dem Unseligen, dessen Hand befleckt
ist von dein Blute Deines Bruders."
Seine Blicke wurden wild und drohend.
Schauerlich entstellte sich sein zucken-
des Gesicht.
„Friedrich — Friedrich!" rief Axel
auf der andern Seite mit unheimlich
röchelndem Ton, „Friedrich, halt ein, ich
bin es —"
„Hörst Du," sagte Friedrich, „hörst
Du, das war seine Stimme — der Geist
des Gemordeten flucht seinem Mörder —
der Abgrund öffnet sich dem Verdamm-
ten —"
Er fuhr in die Höhe; aufrecht sitzend
schlug er mit den Händen um sich, als
ob er die Gestalten seiner Phantasie ab-
wehren wollte.
Mathilde hörte, wie auch Axel sich
umherwarf und noch einmal lauter als
vorher rief:
„Friedrich, Friedrich, halt ein!"
Verzweiflungsvoll rang sie die Hände.
Dann, wie von einem plötzlichen Gedan-
ken erleuchtet, stieß sie den Schirm zwi-
schen den beiden Betten zurück uud ent-
fernte den dichten grünen Vorhang von
der Lampe.
Unter dem Hellen Lichtstrahl öffnete
Axel seine Augen. Er blickte hinüber und
rief nochmals:
„Friedrich, Friedrich!" indem auch er
sich auf seinem Lager aufrichtete.
„Da ist er — da ist er!" rief Fried-
rich, von Entsetzen geschüttelt. „Weiche
zurück — weiche zurück, furchtbarer Geist
— es war nicht meine Schuld — daö
Verhängnis führte meinen Arm — ich
habe Dich erkannt, als cs zu spät war —"
„Es ist kein Geist," rief Mathilde,
„er lebt; Gott hat so schweres Unheil
gewendet."
Immer noch hielt Friedrich die Hände
abwehrend ausgestreckt.
Da, mit einer Kraft, wie sie nur die

Jllustr. Well. 1880. 26.

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