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Aiebtnnmlllrdi-sigsier ^ithrgllllg. 10. ^e^l. DethNllMeN 1888. Klnttgilkl, Keiprig, Herlin. H^itil.

Nit Griginalzeichnungen von Neinhokd Schmidt.
(Alle Rechte Vorbehalten.)
HTHrtin kalter Dczembertag lag gegen das Ende des
fünfzehnten Jahrhunderts über der alten Reichs-
stadt Nürnberg und matt unr drang das Winter-
licht durch die kleinen, runden, mit Blei eingefaßten
cT Scheiben der Fenster des Zimmers, in welchem
der berühmte Gelehrte Johannes Müller, den man nach
seiner Geburtsstadt Königsberg in Franken Meister Jo-
hannes Künisperger oder in der lateinischen Gelehrtenwelt
Johannes Regiomontanus nannte, seine Vorträge hielt.
Er war ein gewaltiger und weit berühmter Mathematiker
und Astronom dieser geistliche Gelehrte, der' sich einen
hellklingenden Namen und hohen Ruhm bei den Großen
und Mächtigen der
Erde erworben hatte.
Der Kardinal Bes-
sarion hatte den jungen
Schüler des Wiener
Matheinatikers und
Astronomen Purbach
mit nach Italien ge-
nommen, ihn dort die
griechische Sprache ler-
nen lassen und in seinen
Studien unterstützt, die
er in Rom, Ferrara,
Padua und Venedig
fortsetzte; dann hatte
er lange am Hof unter
dem Schutz des Königs
Matthias Eorvinus in
Ofen gelebt und sich
endlich in dem Hause
seines Schülers und
Freundes, des reichen
Bürgers Bernhard
Walther, in Nürnberg
niedergelassen, um hier
in freier Muße seinen
Studien und Forschun-
gen sich hinzugeben.
Als eine besondere
Vergünstigung wurde
es angesehen, wenn die-
ser berühmte Gelehrte,
dessen Name sich, wie
das zu jener Zeit der
Fall war, mit einem
gewissen magischen und
mystischen Nimbus um-
gab, jungen Leuten die
Ehre erwies, sie zu un-
terrichten und aus sei-
nen Vorträgen die
Wissenschaft zu erler-
nen, welche ihm selbst
so viel Ansehen bei den
Großen der Erde ge-
bracht hatte.
Jllustr. W-u. isss. w.

Eine Weihnacht deutscher Kunst.
Erzählung
von

das zwanzigste Jahr erreicht haben mochte. Es waren
dies die Söhne der vornehmen Patrizier von Nürnberg,
welche die Vergünstigung erhalten hatten, die Vorlesungen
des berühmten Lehrers zu hören, lauter reich und prächtig
gekleidete, stolz blickende junge Leute, welche das in jener
Zeit so ausgeprägte Standesbewußtsein auf ihren Gesich-
tern trugen.
Alle folgten mit eifriger, ehrerbietiger Aufmerksamkeit
dem Vortrage des großen Mathematikers, der auf seinem
Katheder stand und, einen schwarzen Stab von Ebenholz
in der Hand, die Fiqnren auf einer neben ihm ausgestellten
Tafel erläuterte.
Regiomontanus war ein Fünfziger. Er trug die
schwarze Tracht der Weltgeistlichen so elegant und zierlich,
daß man ihn für einen Hofmann hätte halten können.
Auch sein kluges Gesicht mit der hochgewölbten, weit
hinauf kahlen Stirn, der vorspringenden Nase und den
großen scharfen Augen vereinigte den Ausdruck des seinen
Weltmannes mit dem Ernst des Lehrers.
An der einen Ecke der Schülertische, ein wenig ab-
gesondert von den übrigen, saß ein junger Mann von
etwa achtzehn Jahren, der sich von seinen übrigen Studien-
genossen merkbar unter-
schied. Ihm fehlte der
Ausdruck stolzer Si-
cherheit der übrigen,
sein langes, etwas
blasses Gesicht mit den
großen Augen, um-
flossen von herabwallen-
den blonden Locken,
schien wie von einem
Hanch träumender
Wehmut übergossen.
Er war einfacher ge-
kleidet als die anderen
und trug nicht wie sie
den kurzen Degen, das
Zeichen der ritterlichen
Geburt, das die Patri-
zier der freien Städte
ebenso für sich in An-
spruch nahmen wie der
burgsässige Adel des
Reiches.
„Ich habe euch
also, meine jungen
Freunde," sagte Regio-
montanus mit seiner
wohlklingenden, sanften
Stimme, „die Lehren
des goldenen Schnittes
vorgctragen, durch wel-
chen, wie ihr seht, diese
Linie hier so cingeteilt
wird, daß der kleinere
Teil sich zu dem größe-
ren ganz ebenso verhält
wie der größere zu der
ganzen Linie. Prägt
euch daS wohl ein, denn
diese Teilung ist ein
Gesetz, das für die
Schönhcitsverhältnifse
bei allen Bauwerken,
die die Kunst aufrichtct,
maßgebend sein muß.
DaS Verhältnis, das
SO

Der Raum, in welchem er seine Vorträge hielt, war,
obwohl man ihn-einen Saal hieß, weit entfernt von der
Ausdehnung der heutigen Hörsäle, man konnte ihn eigent-
lich nnr ein mäßig großes Zimmer nennen und die starken
Balken, welche die niedrige Decke durchzogen, ließen ihn
noch verengter erscheinen. An der Hinteren Wand erhob
sich eine Art von Katheder, aus dunkelfarbigem Eichen-
holz geschnitzt, dahinter war auf der weißgetünchtcn Wand
der Tierkreis mit seinen Himmelszeichen in bunten Farben
gemalt; daneben sah man die Zeichen und die symbolischen
Bilder der Sonne und der sie umgebenden Planeten. In
diese Darstellungen mischte sich, wie es überhaupt in dem
geistigen Leben jener Zeit der Fall war, die Wissenschaft
mit der mystischen Allegorie, durch welche vielfach die
Astronomie sich mit der sterndeutenden Astrologie in
wunderbarer Weise verband. In den Repositorien an
den Wänden standen Bücher in großem Format, große
Erdkugeln mit buntfarbigen Zeichnungen, verschiedene
außerordentlich sauber und kunstvoll gearbeitete astrono-
mische und mathematische Instrumente.
An langen Tischen vor den Wänden des Zimmers
saßen etwa fünfzehn junge Leute, von denen noch keiner
 
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