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Roman

Ein kleiner Nonian aus der Treppe. I. Gemälde von V. Corcos. (S. 52k.)

söhnung mit seinem Vater finden möchte. Ihm lag nichts
an dem Verlust seiner Stellung in der Welt und seines
Reichtums. Er würde nie die Rechtmäßigkeit einer Ent-
erbung angesochten haben, welche sein Vater wegen ihrer so
scharf sich gegenüberstehenden Ueberzeugung über ihn ver-
hängen möchte; er war ja auch, abgesehen von diesemZwie-
spalt, entschlossen, um Metas willen seine Geburtsstellung
hinzugeben und sich aus eigener Kraft eine freie und unab-
hängige Existenz zu gründen, aber er hatte gehofft, wenig-
stens menschlich den Weg zum Herzen seines Vaters wieder-
zufinden und in freundlicher Weise von der Vergangenheit
zu scheiden; er war gewiß, daß seine Schwester ihm dabei
behilflich sein werde. Aber wie sollte dies alles noch
möglich werden, wie sollte jemals wieder auch nur eine
äußere Harmonie in den gellenden Mißklang seines Lebens
versöhnend hineintöncn — er war ja der Mörder Axels,

von
Gregor Samarow.
Sicbcnundzwanzigstcs Kapitel.
n unglaublich kurzer Zeit waren die so gefürch-
teten Schanzwerke bei Düppel genommen, von
allen Brustwehren wehte die preußische Fahne.
Weiter vor stürmten die preußischen Truppen,
denn noch galt es, den gefährlichen Brückenkopf,
welcher den Dänen zum Stützpunkt ihrer Stellung diente,
zu nehmen. Tapfer wehrten sich die dänischen Soldaten,
aber sie konnten vor der unwidersteh-
lichen Begeisterung der Preußen nicht
standhalten.
Heiß wurde auch an dem Brücken-
kopf gestritten. Schwere Opfer for-
derte der Kampf dort, aber auch diese
Stellung wurde genommen und um
zwei Uhr befand sich kein Däne mehr
auf dem Festlande.
Die Truppen der dänischen Macht,
welche gestern noch so trotzig von ihren
furchtbaren Schanzen herabgedroht
hatten, waren nach Alsen hinüber-
geworfen, wo sie Zeit fanden, sich zu
sammeln und das schwer erschütterte
Gefüge ihres militärischen Verbandes
wiederherzustellcn.
Während der ganzen Zeit dieser
letzten Kämpfe des entscheidenden
Tages blieb Friedrich in dem dum-
pfen, mit Pulversäcken gefüllten Ge-
wölbe.
Wohl war, da ja die Schanze in
Preußischen Händen sich befand und
die dänischen Gefangenen zurückgeführt
waren, keine Gefahr mehr vorhanden
und die Wache in der Pulverkammer
war überflüssig geworden; aber der
Lieutenant Schneider war weiter vor-
gedrungen, die in der Schanze zurück-
gelassenen Deckungsmannschaften wuß-
ten es nicht oder hatten vergessen, daß
die Wache in das Gewölbe geschickt
war, und so dachte denn niemand
daran, dieselbe abzulösen. Friedrich
aber durfte ja militärisch nicht von
dem Posten weichen, auf den er ge-
stellt war. Er dachte auch gar nicht
an seine augenblickliche Lage, die fast
einem Gefängnis glich und ihn von
der Teilnahme an den noch stattfin-
denden so heldenmütigen und ruhm-
reichen Kämpfen ausschloß.
Er saß in sich zusammengebeugt
auf einem Schanzkorb, welcher neben
den Pulversäcken lag, und dachte immer
und immer wieder an das schreckliche
Verhängnis, das sich seiner Hand be-
^ient hatte, um so schweres Unglück
Aber die Seinen zu bringen. Immer
'war in seinem Herzen doch die leise
/Hoffnung noch lebendig geblieben,
daß er einst vielleicht dennoch die Vcr-
Jllustr. Well. IMS. 22.

er hatte das hoffnungsvoll aufblühende Lebcnsglück seiner
einzigen Schwester zerstört. Freilich hatte er ja nur seine
Pflicht als Soldat gethan, aber gerade diese Pflicht wurde
von den Seinen an sich schon als ein Verbrechen an-
gesehen, und mochte sie auch seine That entschuldigen, er
blieb doch immer der Mörder ihres Glücks, die Ursache
ihres freudlosen, einsamen Lebens, und niemals konnte sie
ihre Hand in die seine legen, die mit dem Blut ihres
Geliebten befleckt war.
„O, mein Gott," seufzte er, „wie ist es möglich, daß
aus lauter guten Keimen so furchtbar entsetzliche Saat
aufgehen kann! Ich habe Reichtum und Glanz meiner
Ueberzeugung geopfert und war fast stolz darauf, daß ich
dazu die Kraft in mir fand. Ich habe als Soldat meine
Pflicht gethan im Kampfe für das Recht meines Landes,
und nun trage ich vor denen, die mir am nächsten im
Leben stehen, das Brandmal des ver-
lorenen Verbrechers, und vor mir
selbst erhebt sich meine That so furcht-
bar und schreckensvoll, daß ich mir
wie ein Verworfener erscheine. O,
mein Gott, wie klein, wie ohnmächtig
ist der Mensch, wie sinkt er zer-
schmettert in den Staub zurück, wenn
er es wagt, sich selbst die eigenen
Bahnen seines Schicksals öffnen und
gar seines Volkes Schicksal mit ent-
scheiden zu wollen!"
Wieder versank er in dumpfes
Brüten und lange saß er da, ohne
daß er die Kraft fand, die erdrückende
Last seiner immer auf denselben Punkt
zurückkehrenden Gedanken abzuwälzen,
ohne daß ein Lichtstrahl in das Dunkel
seiner Seele siel. Immer sah er Agnes
Lor sich, wie sie bleich und verstört
neben dem blutenden Geliebten kniete
und von ihm selbst sich schaudernd
abwendete. Und wunderbar, neben
der Schwester erschien ihm auch jetzt
wieder Mathilde; auch sie stand bleich
neben dem Bruder, aber sie sah ihn
nicht mit Haß und Abscheu, sondern
mit unendlichem Schmerz und tiefem
Mitleid an, ihre thränenden Augen
schienen zu fragen: „Wie hast Du
das thun können? Warum hast Du
Dich von uns gewendet? Warum
hast Du die tödliche Waffe gegen die-
jenigen erhoben, die Dich am meisten
liebten?"
Er drückte die Hände auf seine
Augen, um diese Visionen zu ver-
scheuchen, aber mit furchtbarer Deut-
lichkeit kehrten sie immer wieder zu-
rück, bis daß er endlich aufsprang
und mit großen Schritten in dem klei-
nen, niedrigen Raume auf und nieder
eilte, um nur seinen eigenen Ge-
danken zu entfliehen, so daß die Sol-
daten, welche auf einem Schanzkorb
in der Ecke des Gewölbes saßen, ihn
kopfschüttelnd und verwundert ansahen.
Der Lärm des Kampfes, welcher
wie aus weiter Ferne herandrang,
hatte aufgehört.
Eine Zeit lang war cs still, dann
ertönte ein munterer Militärmarsch
oben in der Schanze.
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