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Aubeinnnlilrtissigstei! ^«hrgsng.

2. Sest.

Jinttgskt, Ariprig, D-rlin, Hien.

Justiz dev Seele.
Roman
von
Anton AreiHerr von Mrfass.


(Fortsetzung.)
er erste Schnee war gefallen in der
Nacht, der Winter grinste zu allen
Fenstern herein — der polnische Winter.
Marciana fröstelte es, als sie des Mor-

gens hinausblickte in die weiße Land-
schaft, über der grauer Nebel braute. Wenn einmal der
Schnee Weg und Steg versperrt, sie nicht mehr in wildem

Ritt alle bösen Gedanken verscheuchen, Minsky nicht mehr
jagen kann, wenn die langen, langen Winterabende kommen,
wo man sein Herz pochen hört im stillen, gemütlichen Kreis
bei dem schläfrigen Lichte bis zum Zerspringen, nnd man
über Oekonomie und Jagd, über Wetter und Nachbarn
reden muß — dann kommt auch er — zu seiner Braut!
— Nein! Das ist es eben. — Gestern sprach er das ver-
hängnisvolle Wort, von dem Elenor sich heute noch nicht
erholt. „Der Arzt verlangt entschieden, daß ich den
Winter im Süden zubringe," sagte er, „es ist was nicht
recht in Ordnung da drinnen." Dabei preßte er die
Brust. — Elenor durfte laut weinen um seine kranke
Brust — sie mußte gelassen scheinen, nur mütterlich be-
sorgt, selbst dazu raten, dem Arzt zu folgen. Tausend
Gefühle durchstürmten sie — Scham, Vorwurf, Freude
und Schmerz trieben ihr das Blut in die Wangen, die sich

tief über ihre Stickerei beugte. Sie war schuldlos und
doch eine Verräterin an diesem Kindeshaupt, das sich an
Wladimirs Schulter lehnte, an dem Greisenhaupte neben
ihr. Sie war erschüttert von dem opscrmutigcn Ringen
eines edlen Herzens mit unerforschlichen Gewalten, und
doch wünschte sie seine Niederlage, sie hoffte auf die Stand-
haftigkeit seines Entschlusses, der einzig ihr Rettung schien,
und zitterte doch davor. Und das alles, dieser ganze
innere Aufruhr, den die Worte Wladimirs in ihr hervor-
riefen, galt am Ende nur dem bedrängten Vaterlands, das
eine seiner besten Kräfte verlor, ihrer unbezwinglichen
Angst, wenn der Freiheits sturm plötzlich losbräche, der
schon die Wipfel schaukelte der polnischen Wälder, allein
zu sein mit der großen Mission, die ihr zugetcilt schien.
Das alles dachte Marciana an diesem düstern Morgen.
Sie hüllte sich fester in ihren Morgcnpelz und blickte in

Ohne Aussteuer. Gemälde von D. R. Knight. (S. 34.)
Nach einer Photographie Yon Ad. Brann L Co. in Darnach nnd Paris (Vertreter: Hugo Grosser in Leipzig).
Jllustr. Welt. I88V. 2.
 
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