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Illustrierte Welt : vereinigt mit Buch für alle: ill. Familienzeitung — 42.1894

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13. Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.57404#0312
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Im Ueh.
Novelle von
A k e.r a n d e r Hl ö m e r.
^^^in großer Neisekoffer modernster Konstruktion
/ stand in dem behaglich eingerichteten Schlaf-
zimmer, in dem ein junges Mädchen auf
der Chaiselongue lag. In verdrießlichem
Ton kam es aus der Ecke:
„Mama, Du mühst Dich so mit dem Packen
und ich gebrauche ja fast nichts."
„Mm, Kind, das findet sich. Du mußt doch
etwas anzuziehen haben."
Die Mutter hatte allerlei Effekten, die reich ge-
stickte Leibwäsche und die Kleider um sich ausge-
breitet, wählte uud packte mit sorglicher Umsicht.
Die Tochter machte eiue Bewegung, als ob sie
sich ausrichten wollte, sank aber matt zurück. Das
lockige Haar vom weichsten Braun war aus der
Stirn zurückgestrichen und heute nicht kunstgerecht
srisirt, das schmale, sein geschnittene Gesichtchen
war blaß, und dunkle Schatten lagerten unter den
Augen, welche in dieser wieder vorüber gerauschten
Saison noch so sprühend und verführerisch zu blicken
verstanden. Elsbeth Tönnies, die hübsche,, reizende,
gefeierte Elsbeth Tönnies, war nervös geworden,
bleichsüchtig, leidend, und wie es dann kein Wun-
der war, auch übellaunig.
Es war der sechste Winter vergangen, seit sie
zuerst austrat, uud bald in den Ballsüleu ein blen-
dendes Gestirn wurde. Sie war wirklich allerliebst,
die damals Achtzehnjährige, eine Rosenknopse von
berückender Anmut. Frisch, schlagfertig, sich ihrer
Reize allmülich immer mehr und immer sicherer
bewußt werdend. Die Herren, jung und alt, schworen
zu ihrer Fahne, und es gab wohl in der ganzen
Stadt kein Mädchen ohne Vermögen — denn leider,
diese angenehme Zugabe hatte das Schicksal ihr
versagt — das so umringt und umschmeichelt wor-
den wäre, wie sie. Die verwitwete Fran Rätin, deren
einziges Kind Elsbeth war, stand seufzend vor dem
Schrank und musterte die verblichenen Ballroben.
Unter viel Mühen und Kopfzerbrechen waren sie her-
gestellt worden. Elsbeth hatte Geschmack und sie und
die Mutter waren geschickt mit der Nadel. Es hatte
der Rätin manchmal das Herz abgedrückt, daß dieses
Kargen und Sorgen noch immer kein Ende nahm.
Zu Anfang -- nnu, für eine Achtzehnjährige
genügte ein einfaches Tüllkleid mit ein paar Rosen.
Da wirkte die Jugend ja alles — alles! Und welch
eine Fülle glänzender Hoffnungen stiegen gleich her-
aus. Man wandelte so ziemlich über den Wolken,
wie man meinte, geradeswegs in das Paradies einer
glänzenden Heirat hinein.
Während die Rätin ordnete und sichtete, kamen
ihr die Erinnerungen, die jetzt ärgerlichen und bittern.
Diese Spitzen stammten noch aus dem ersten Winter,
man hatte sich damals zu echten aufgeschwungen;
denn der junge Herr von Kienold, der Erbe eines der
reichsten Güter der Umgegend, umschwärmte die

Die in meinem Roman „Um der Liebe willen" genannte
Versicherungsgesellschaft „Providentia" ist, selbstverständlich, eine
Phantasiefchöpfuug und hat mit der in Frankfurt a. M. unter
diesem Namen bestehenden absolut nichts zu thun.
Neinhold Orkmann.


„Ich gratulire!" Nach dem Gemälde von S. Corcos.

Jllustr. Welt. 1894. 13.

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