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306

reizende Elsbeth derart, daß man mit Sicherheit auf
eine Verlobung vor Schluß der Saison rechnen konnte.
Das war der erste bittere Kelch — der junge Herr
schwand ohne Erklärung aus dem Gesichtskreis. Er
war aus Reisen gegangen und kehrte im nächsten
Winter nicht wieder. Aber es kamen andere, manche,
die nicht minder Glänzendes zu bieten hatten. War
der Ansang mit echten Spitzen gemacht, durfte man
nicht auf unechte zurückgehen, der Geschmack verfeinerte
sich ohnehin mit den Jahren. Solch eine erwachsene
Tochter, die so beliebt und so viel begehrt ist, kostet
viel, die Rätin wußte es, wo sie der Schuh drückte.
Sie war in ihrer Jugend solid erzogen worden und
hatte immer in soliden Verhältnissen gelebt. Es nagte
an ihr, daß sie gezwungen gewesen war, ihr kleines
Kapital anzugreisen, das einzige sichere Besitztum Els-
beths dereinst, wenn — sie einmal allein stehen sollte
und der Mutter Pension fortsiel. Aber das war doch
nicht zu denken — wie eine wilde Angst stieg es der
Rätin herauf. Auch dieser Winter hatte eine Reihe
von Enttäuschungen gebracht — Elsbeth war ja immer
noch schön, noch beliebt, noch gefeiert — du lieber Gott!
sie war vierundzwanzig Jahre alt. Aber das Leben
in der Großstadt ist nervenaufreibend. Das Kind war
in hohem Grade nervös geworden und da hatte man
beschlossen, daß sie jetzt, wo es ansing, warm zu werden,
einmal ganz ausspannen, ganz still leben solle.
Die Schwester der Rätin, auch verwitwet, die Ma-
jorin Wenk, lebte in Ronsdorf, einem kleinen Städtchen
mit reizenden Umgebungen. Sie wollte Elsbeth bei
sich Herbergen, auffrischen und gesund machen, wie sie
in freundlichster Weise geschrieben hatte. Es war
hübsch in Ronsdorf, es lebten dort angenehme Fami-
lien, ein eng zusammenhaltender Kreis von Gebil-
deten, welche freilich von den Genüssen einer Großstadt
wenig gekostet, sollst aber allerlei Interessen hatten,
und durchweg fröhlich und gesund waren. Der Brief
der Tante Ida hatte ein ganz verlockendes Bild ent-
worfen, und wenn Elsbeth auch zu Anfang gemeint,
in dem Nest stürbe sie vor Langeweile, allmälich hatte
sie sich mit dem Gedanken dahin zu gehen, ausgesöhnt.
Sie mußte wirklich sobald als möglich in andere Luft,
sie fand hier alle Menschen schal und albern.
Die Unterhaltung drehte sich immer um dieselben
Gegenstände, Theater, Bazare, Reitschüler, Ulanen
immer dasselbe Sporenklirren, immer dieselben
Redensarten. Und dabei dieses ewige Klettern, die
immer höher sich türmende Pyramide hinaus. Ein
jeder rang nach Ehren und Auszeichnungen, nach
irgend welchen Erfolgen. Einer überholte stets den
andern, der dann zähneknirschend, erschöpft, meist
innerlich an tiefer Wunde blutend, sich für eine
Weile zurückzog, bis ein neues Jagen begann.
O! Sie war müde. Die glänzende Welt war
hohl, sie war ja schon lange sehend geworden, viel zu
hellsehend für ihre jungen Jahre. Die Sphäre, in
welche sie eigentlich gehörte, die Zivilisten, die Beamten-
kaste, zu der ihr Vater gezählt, hatte sie schon als
eine untergeordnete betrachten gelernt. Ihre brillanten,
ordenbehangenen, in Silber- und Goldschnüren fun-
kelnden Tänzer hatten beißende Spottnamen für die
philisterhaften Arbeiter im Verwaltungsbetrieb. Es
dauerte lange, bis die zn einer angesehenen Stellung
herauskamen, und sie, unter denen der jüngste Lieute-
nant sich schon als Würdenträger fühlte, sie be-
herrschten allein das Parket.
Aber auch unter ihnen gab es gewaltige Stnfen
und Nangunterschiede, je nach den Truppengattungen,
und es war für eine erfahrene, junge Dame durchaus
nicht gleichgiltig, ob sie von einem Artilleristen
(Bombenschmeißer), oder einem Offizier beim Train,
oder einem Reitschüler und Ulanen engagirt und aus-
gezeichnet wurde. Diese Herren waren aber meistens
keine Heiratskandidaten, wenigstens keine für ein
armes Mädchen. Sie besaßen alle einen ungemein
fein ausgebildeten Geschmack für gute Diners, luxu-
riöse Einrichtungen und alle guten Gaben, die großer
Reichtum verschafft. Daneben verstanden sie es auch,
mit untrüglicher Sicherheit die schönste Ballcrscheinung
zu würdigen, und dieser die berückendste Huldigung
zu Füßen zu legen — nur mußte die Betreffende, für
eine Weile aus den Schild Gehobene, ganz genau
wissen, daß die Wahl einer Gefährtin für das Leben
bei diesen Herren durch ganz andere Dinge bestimmt
wurde.
Und Elsbeth Tönnies hatte ihre Studien in der
Gesellschaft recht gründlich, gemacht; ihr intelligenter
Kopf wußte das alles längst. So waren auch Herzens-
verirrungen ihr erspart geblieben, sie war kühl, vor-
sichtig und stets reiflich überlegend ihren Weg ge-
gangen. Sie hatte über die kleinen Gestirne, von
denen wohl dieser oder jener einmal naiv schwärmte
und sich heiß entflammte, großmütig gelächelt. Die
konnten sie nicht erlösen, ihr nichts bieten und ihr
nicht helfen. Daneben galt es doch den einmal er-
rungenen Platz als gefeierte Königin der Saison so
lange es anging, festzuhalten.
„Wie reizend ist die junge Dame wie vollendet

ILlustrirte Welt.

in den Formen, wie sicher in ihrem Benehmen den
Herren gegenüber, wie geistvoll und gewandt in ihrer
Unterhaltung mit Jung und Alt." Der Ruf war
errungen worden, die Lorbeeren hatte man geerntet.
Die Rätin seufzte wieder, und Elsbeth war von
ihrem Lager aufgesprungen, und musterte jetzt die von
der Mutter ausgewählten Sachen. Ihre Gestalt war
biegsam und elegant, sie sah selbst jetzt im Negligo,
ohne Nachhilfe von Toilettenkünsten, entzückend aus.
„Mama, was denkst Du Dir eigentlich, bei welcher
Gelegenheit sollte ich da wohl in Ronsdorf dieses
weiße Foulardkleid anziehen?" sagte sie, und hob ein
duftiges, seidenschimmerndes Gewebe aus dem Karton.
„Ich würde es für alle Fälle mitnehmen, Els-
bethchen," meinte die Rätin, „es steht Dir unvergleich-
lich. Der Stoff rieselt in so weichen Falten an
Deiner schlanken Gestalt herab, wie aus Duft ge-
woben siehst Du darin aus, und zum nächsten Winter
müßte es doch gewaschen werden."
Elsbeth fügte es mit nachlässiger Bewegung wieder
in seine Lagen und ließ es im Karton, ein ironisches
Lächeln kräuselte ihre Lippeu.
„Nun, damit kann ich ja den Kleinstädtern ge-
waltig imponiren, wenn man etwa mir zu Ehren sich
zu einer Gesellschaft aufschwingen sollte. Nach Tante
Idas Auslassungen muß man freilich annehmen, daß
das ganze Nest neugierig auf die Nichte der Majorin
Wenk ist. Welch eine beneidenswerte Rolle!"
Sie lachte kurz und spöttisch auf, und das Lachen
klang nicht hübsch. Sie beteiligte sich jetzt beim Packen,
und sie widersprach nicht mehr, als doch eine Menge
eleganter, eigentlich überflüssiger Sachen in den Koffer
gelegt wurden.
„Es kommt ja schließlich auf ein paar Stücke mehr
oder weniger nicht an," erklärte die Mutter, „Du bist
an alle die kleinen Bequemlichkeiten gewöhnt, warum
solltest Du sie entbehren."
„Ja, man sollte Ls kaum glauben, an wie viele
Nichtigkeiten man schließlich gewöhnt ist," bemerkte
auch die Tochter gähnend.
„Wie geht es mit Deinem Kopfweh?" fragte die
Mutter besorgt.
„Ach! sprich nur nicht davon," entgegnete Elsbeth
in verdrießlichem Ton, „in dieser eingeschlossenen Luft
hier wird es sicher nicht besser."
„Es ist sechs Uhr, das Wetter schön, willst Du
Dich anziehen, so wollen wir einen Wagen nehmen
und ein Stündchen spazieren fahren."
„Bah! nur nicht um meinetwillen — Du predigst
ja immer, daß wir sparen müssen."
„Elsbethchen! Gott weiß, wie schwer es mir wird
von Einschränkungen zn sprechen, aber, wo es Deine
Gesundheit gilt. . ."
„Laß doch, ich bitte Dich, Mama — ich verlange
wahrhaftig nichts für mich. Diese Reise zur Tante
kostet ein paar Mark, dort habe ich freien Aufenthalt,
eine Sommerreise wird nicht gemacht — also — Du
freilich, armes Mütterchen, willst Du hier wirklich den
ganzen Sommer ausharren?"
„Mir wird das nicht schwer, Kind. Es bleiben
in diesem Jahr mehrere von mein eil Bekannten hier,
und ich mache dann täglich meinen Spaziergang.
Ich glaube, es ist am besten so, wir kamen ja auch
darin überein. Wenn ich annehmen müßte, daß ein
Seebad für Dich notwendig wäre — aber Du weißt
— in den vorigen Jahren — es ist dort auch großer
Trouble, wir geraten dann gleich in den Schwarm —
man läßt Dich ja nirgends in Rulst. . ."
„Ich bitte Dich inständig, Mama, rede nicht davon,
unsere Erfahrungen in den Seebädern sind uns wohl
beiden gegenwärtig."
Wie bitter das klang aus dem jungen Munde.
Es wurde eine Weile still im Zimmer, die Mutter
seufzte wieder.
„Wenn Du Dich damals hättest entschließen können,
Elsbeth, als der junge Voßberg um Dich warb. Er
war ein grundguter Mensch, sehr reich, und wird rasch
Carrisre machen."
„Ja, Mutter, freilich — er sah aus, wie ein Affe."
Die Tochter lächelte melancholisch und sah fast mit-
leidig aus die Mutter. Man hatte überhaupt den
Eindruck, wenn man mit unbefangenem Auge die
beiden ansah, als sei die Tochter die erfahrenere und
überlegenere.
„Ja, er war häßlich," bemerkte die Mutter klein-
laut, „das war es ja leider, und er gefiel Dir nicht."
„Er stotterte erbärmlich, wenn er reden wollte,
Mutter, und von seiner gepriesenen Klugheit merkte
man nicht viel." Elsbeth lachte kurz und trocken.
„Er war Dir gegenüber besangen, der arme
Mensch," ries die Mutter eifrig. Die entschwundene
Hoffnung schien sie aufs neue zu packen.
„Arme Mutter! Klammerst Du Dich noch an den?
Der hat mich lange vergessen."
„Das — das glaube ich nicht."
„So — und wenn — es wäre doch auch gleich-
giltig." Das klang so fest und absprechend für alle
Zeit, daß die Mutter verstummte. Sie war überzeugt.

ein Wink von Elsbeth genügte, uud der einst Abge-
wiesene lag wieder zu ihren Füßen, aber — ihre
Elsbeth hatte ihren eigenen Kopf, sie that es nicht.
-k
Am andern Morgen nahm Elsbeth zärtlichen Ab-
schied von der Mutter, welche sie zur Bahn geleitete,
setzte sich dann ihr juchtenledernes Handtäschchen neben
sich in eine Ecke des CoupeD und begann zu lesen.
Eine alte und eine junge Dame, letztere wohl die
Gesellschafterin der ersteren, die schon von Köln herauf-
kamen, bildeten ihre Reisegesellschaft. Sie fühlte sich
nicht aufgelegt zum Reden, und runzelte häufig die
Stirn bei dem langweiligen Wechselgespräch der beiden.
Die Alte ließ ihre junge Begleiterin keinen Augen-
blick in Ruhe; hatte fortwährende Dienstleistungen zu
fordern, und erging sich in endlosen Fragen. Eine
Stunde später stieg noch ein junger Herr zu ihnen
ein. Ein kurioses Männchen, sehr klein und sehr kor-
pulent, mit einem runden Gesicht, frisch wie ein Bors-
dorfer Apfel. Er trug sehr feine, saubere Wäsche
und gehörte jedenfalls zu der besseren Gesellschaft.
Seine Hellen blauen Augen blickten gutmütig und zu-
traulich, und er blieb eine ganze Weile beschäftigt
mit Sorgen nur die Bequemlichkeit der anspruchsvollen
alten Dame.
Elsbeth sah mit einem belustigten Lächeln von
ihrer Ecke aus dem Treiben zu. Als aber das zahl-
reiche Handgepäck, welches die junge Gesellschafterin
nach und nach aus den Netzen hatte herausnehmen
müssen, um in jedem Stücke etwas zu suchen, von der
kräftigen Hand des gefälligen Fremden wieder an
seinen Platz gebracht war, und er pustend und kirsch-
rot von seinem Eifer endlich begann sich selbst zur
Ruhe zu setzen, fiel zuerst sein Blick auf das schöne
Mädchen in der andern Ecke.
Die Wirkung ihres Anblicks auf seinen Zügen
konnte sie zufrieden stelleu, und entlockte ihr auch eiu
Lächeln. Er sah so bestürzt, ja geblendet aus, daß
es wirklich komisch war. Dann grüßte er verbindlich
und nahm aus dem freien Sitz ihr gegenüber Platz.
Elsbeth hatte ihr Buch in den Schoß sinken lassen,
und blickte zum Fenster hinaus. Die Gegend wurde
hier hübsch. Es war ein warmer, sonniger Tag zu
Ende des April, einzelne Obstbänme fingen schon an
zu blühen, die Wiesen glänzten im saftigsten Grün,
der Wald schimmerte noch in verschiedenen Färbungen,
sein junges, Helles Laub ward unterbrochen durch die
schwärzlichen Stämme und Aeste der knorrigen Eichen
und Eschen, deren Blätter noch in Knospen lagen.
Das Landschaftsbild war lachend.
Ans das durchsichtig bleiche Gesicht des jungcu
Mädchens warfen die Sonnenstrahlen einen warmen
Schein, die langen, dunklen Wimpern beschatteten die
zarte Wange, das seine, edelgeformte Profil hob sich
scharf ab, der kleine, lebhafte Herr ihr gegenüber ver-
mochte seine Blicke nicht von ihr loszureißen.
Wenn sie ihm nur einmal eine Handhabe böte,
sie anzureden. Aber sie starrte vor sich hinaus, als
sei sie mit ihren Gedanken weit abwesend. Und das
war sie auch — nur das pustende Atmen ihres neuen
Reisegefährten störte sie in ihren Grübeleien.
So lachend die Welt da draußen aussah, sie hatte
kein rechtes Auge dafür. Sie freute sich nicht auf
das Idyll, welches ihr der Aufenthalt bei der Tante
bringen sollte. Vor ihrem Geist standen langweilige,
unsäglich eintönige Monate. Aber sie hatte cs selbst
gewünscht — Ruhe war das einzige, was sie brauchte
— Ruhe. Ein schaler, bitterer Nachgeschmack war all
den Festen gefolgt; sie fühlte sich unbefriedigt, ja sie
fragte sich schaudernd, ob sie denn noch einen Wunsch
in der Seele habe, dessen Erfüllung sie beglücken
könne. Freude — weit zurück mußte sie in ihre Er-
innerung greifen, um sich dieses Gefühl zurückzurufeu.
Als Kind, da hatte sie sich auf die Ferien, auf eine
Ausfahrt, eine Reise gefreut, und atemlos die Zeit
nicht erwarten können, bis das Ersehnte kam. Später
dann — vielleicht noch ans den ersten Ball, ans eine
Theatervorstellung — matter, matter waren die Ge-
fühle geworden mit jedem Jahr. Und was lag nun
vor ihr? Oede — Oede!
Ja, wenn noch ein leuchtender Punkt in der Ver-
gangenheit stände, ein großes, das ganze Herz bewe-
gendes Ereignis, und wäre ihm auch Schmerz und
Sturm gefolgt, aber es war eine fo unerträglich ebene,
glatte Fläche, ein Spiegel mit dem kleinlichsten Wellen-
gekräusel. Sie war fo gut geschult aus die Bühue
gesandt worden, daß kein untaktmäßiger Schlag die
Harmonie gestört hatte. So vorsichtig, so auf ihrer
Hut mit klarem, berechnendem Kops war sie ihre
Straße gewandelt, jede Chance in ihr Exempcl ziehend,
und doch war das Facit immer Null für Null ge-
blieben. Das Glück hatte sie nicht begünstigt, bei
solchem Glücksspiel ist das ein schlimmer Umstand.
In dem Leben war keine Poesie, die war über-
haupt im ün äs 8i6ol6 eine abgedankte und entthronte
Göttin — Gedichte — sie hatte einmal in frühester
Jugend für Gedichte geschwärmt, ihrer eine Menge
gelesen und im Kops behalten — man durfte sie nicht
 
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