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18. Äefi.

SLutLgcrvL, Leipzig, Werbin, Wien.

Im Uetz.
Novelle von
Alexander Mömer.
(Forisehnng.)
^^s ist Winter geworden. Die Linden auf dem
Palmberg in Ronsdorf sind kahl und tragen
eine schwere Schneedecke, wie ein Weißes Lei-
chentuch breitet es sich darunter aus und über
Gärten und Wege. Zwischen den Grabhügeln auf dem
Domkirchhos sind Steige geschaufelt, aber weiß, weiß
glänzt auch dort alles, uud nur die schwarzen Kreuze
ragen hervor.
Gestern haben sie da eine alte Frau begraben und
neben den ihr vor langen Jahren vorangegangenen
Gatten gebettet — Frau Riek, die liebe, fröhliche
Frau Riek.
Aber sie war nicht mehr fröhlich in der letzten
Zeit, wenigstens nicht mehr von innen heraus / sie
wollte es nur scheinen. Ein großes Leid war über
sie hereingebrochen, das sie jetzt in ihrem Alter nicht
mehr zu tragen vermochte. Sie hatte so viel und
Schweres getragen im Leben, immer mutig, immer un-
verzagt. Aber nun war sie müde und konnte es nicht
mehr wenden mit ihrer Kraft. Im Gegenteil, es wurde
vielleicht besser, wenn sie nicht mehr da war. Das
nagte an ihr, und das brach ihr das Herz.
Ihr schöner, guter Fritz, ihr einziger war ihr so
plötzlich verwandelt worden. Seit jenem Tag, seit
Hedi Benkens Geburtstag, wo die unselige Fremde
um ihn gegirrt hatte, war er ein anderer.
Sie hatte es sofort gewahrt, so sehr er sich auch
mühte, es vor ihr zu verbergen. War es eine Un-
heilige, eine Zauberin gewesen? Was hatte sie ihrem
frischen Jungen gethan?
Sie war ja abgereist, am Tag nach jenem Fest,
sie hatte sich bald daraus verlobt, verheiratet — mit
welcher Befriedigung hatte die alte Fran Riek anfangs
diese Nachrichten gehört.
Aber dennoch — ihr Sohn verfiel, seine Wangen
wurden täglich hohler und seine Augen matter, er-
arbeitete Tag und Nacht, er arbeitete sich schier zu Tode.
Wenn er mit ihr zu scherzen versuchte wie früher,
lief ihr ein Zittern durch die Glieder — das war ja
nicht mehr Wahrheit, das war Verstellung und kam
aus einer totkranken Seele.
Frau Riek, die fröhliche Alte, die bisher jeden
Tag seine eigene Plage haben ließ, fing an zu grübeln.
Böse, wurmende Gedanken setzten sich in ihrem Kopfe fest.
Ihr ,Fritz war nicht mehr glücklich, es ward ihm
zu eng in den kleinen Verhältnissen, er paßte ja auch
in andere. Hatte ihr nicht der Direktor noch neulich
gesagt: „Ihr Sohn, unser lieber Doktor, den wir hier
ungern missen würden, ist eigentlich ein Forscher, der
sich weitere Ziele stecken müßte. Aber er ist ein an-
hänglich Ronsdorfer Kind, der auch seine alte Mutter
nie verlassen mag."
War es das? Hatte sie ihn gehemmt? Opferte er
seine Zukunft um ihretwillen?
Sie überraschte ihn ein paarmal, als er vor seinen
kleinen Statuen stand mit einem darein versenkten Blick,
daß er sie gar nicht gewahrte. Was sah er nur aus
den Dingern heraus? Sie verstand nichts davon, aber
Jllustr. Welt. 1894. 18.



Zur Stärkung.
Nach dem Gemälde von L. Blume-Siebert. (S. 435.)

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