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Iweiundvierrzigster: Icrbvgcrng.

10. Lest.

StuttgccrrL, Leipzig, MeEn, Wien.

Um der Kirbe willen
Roman von
Hleinhokd Hrtmarm.

Dreiundzwanzigstes Kapitel.
enige Tage nach seinem letzten Gespräch mit
Margot von Alten hatte Wolfgang Normann
die schön gestochene Karte mit der Anzeige
ihrer Verlobung auf seinem Arbeitstische ge-
funden. Wenn er auch nicht die volle Wahrheit erriet,
so glaubte er doch die letzten Beweggründe ihrer Hand-
lungsweise zu verstehen und eine Empfindung tiefen
Mitleids regte sich in seinem Herzen. Von Schmerz
und bitterem Groll aber fühlte er nichts mehr gegen sie.
Er hatte die große Enttäuschung rascher und voll-
ständiger überwunden, als es ihm anfangs möglich
dünkte, und wenn auch sein Wesen im ganzen vielleicht
noch ein wenig ernster geworden war, so blickten seine
Augen doch wieder hell und klar in die Welt, und
nicht ein einziger Schaffenstag war ihm mit kopf-
hängerischem Grübeln verloren gegangen.
Monate verstrichen, ohne daß er von der Familie
seines einstigen Wohlthäters etwas weiteres vernahm.
Er hatte der Baronin in den üblichen Formen seinen
Glückwunsch gesandt; aber er hatte keinen Besuch ge-
macht und eine Einladung war ihm nicht zugekommen.
Er mußte seine Beziehungen zu den Damen also wohl
als vollständig gelöst betrachten, und es war seltsam,
daß es nur der Gedanke an Edith war, der ihm diese
Erkenntnis jetzt noch zu einer schmerzlichen machte.
Er dachte ost an sie und es war dabei immer etwas
wie nagende Reue in seinem Herzen. Die Erinnerung
an das letzte kurze Gespräch, das sie aus der Treppe
von Fräulein von Plothows Pensionat mit einander
geführt, war für ihn nachgerade gleichbedeutend ge-
worden mit dem Bewußtsein eines begangenen Un-
rechts, das ihn um so empfindlicher quälte, je deutlicher
er später die edle und großmütige Absicht des jungen
Mädchens erkannt hatte.
Aber es war daran jetzt leider nichts mehr zu ändern.
Er konnte nicht einmal den Versuch machen, sich bei
ihr zu entschuldigen, ohne daß er hätte fürchten müssen,
ihr Zartgefühl vielleicht aufs neue zu verletzen, und
es blieb ihm zur Beschwichtigung seiner Selbstvor-
würfe nichts als die Hoffnung, daß Ediths liebens-
würdige Natur nicht dauernd im stände sein würde,
ihm zu zürnen.
Still und einsam ging das Weihnachtsfest für den
jungen Ingenieur vorüber. Er unterhielt wenig ge-
selligen Verkehr, und es entsprach durchaus der Wahr-
heit, wenn er die Einladungen, welche trotzdem hier
und da an ihn ergingen, regelmäßig unter Berufung
auf die Fülle seiner Arbeit ablehnte. War diese Arbeit
auch zum allergrößten Teil eine freiwillige, so nahm
sie ihn darum doch nicht weniger in Anspruch, und
er gab sich ihr um so rückhaltsloser hin, je näher er
sich dem ersehnten Ziele glauben durfte.
Es war an einem klaren, sonnigen Frosttage im
Januar, als Wolsgnng die freie Stunde nach dem
Mittagessen zu einem Spaziergang durch den ver-
schneiten Tiergarten benützte. Geflissentlich suchte er
die stillsten Partien des weiten Parkgebiets auf, denn
seine Gedanken waren mit wichtigen und bedeutsamen
Jllustr. Welt. I8S4. 1Ü.


Leb wohl! Zeichnung von E. Vulliemin. (S. 234.)

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