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IweiirnbvrerAigsLe^ Zcrb^gcrng.


SLutLgcrioL, Leipzig, Wevtin, Wien.

Dev -alte Snffurel)ov.
Roman
von
W. W e n Z.
(Fortsetzung)
"M^^ehrere Wochen später war an einer Hausthür
in der Königsstraße ein Messingschild befestigt
und daraus stand zu lesen:
>V. Ltroit ll. li. vr.
Advokat.
Die große Visitentour bei den Mitgliedern des
Rates und den höheren Beamten der Hansestadt hatte
er absolvirt und seine
Wohnung im Parterre
des stattlichen Hauses
mit Hilfe der Mutter
und Schwester hübsch
und solid eingerichtet,
und sogar schon einen
kleinen Schreiber an-
genommen für das
Bureau.
Heute saß der junge
Advokat in seinem ge-
mütlichen Zimmer, ge-
beugt über ein Akten-
saszikel, dessen Stu-
dium der Vater ihm
empfohlen hatte. Aber
der Inhalt war ihm
bis zu diesem Augen-
blick gänzlich fremd
geblieben, feine Gedan-
ken weilten ganz wo
anders; schon seit Wo-
chen sann er nur dar-
über, wie er die Ver-
gangenheit des alten
Meyer zu ergründen
vermöge, um ihn, das
war er überzeugt, von
jeder Schuld zu reini-
gen. Aber hätte er
wirklich dieses Vorha-
ben aus Stunden ver-
gessen können, so war
gewiß die Schwester bei
der Hand, um rhn an
die wachsende Frechheit
jenes Menschen zu er-
innern, dieses Schind-
ler, den sie über alles
verabscheute. Und in
der That, die Frechheit
überschritt alle Gren-
zen. Zunächst war
Herr Georg persönlich
im Doberschen Hause
erschienen und hatte sich
bei der alten Dame
melden lassen, die ihn
freilich nicht annahm.
Er hatte dann lange

mit dem Hausmädchen verhandelt, dieselbe bestimmt,
noch einmal hinauf zu gehen und war endlich nach
vielen Redensarten verschwunden mit dem Versprechen,
in den nächsten Tagen wieder kommen zu wollen. Das
geschah denn auch; aber nun ließ Fräulein Dobers ihm
durch den Gärtner Sander bedeuten, sie verzichte gänz-
lich auf seinen Besuch und bitte ihn, ihr Haus nicht
wieder zu betreten. Indes, auch das hals nicht; sein
Plan verlangte Konsequenz, und so erschien er zum
drittenmale und erklärte, seine Cousine sprechen zu
wollen. Bei dieser Gelegenheit wurde er so laut, daß
der Gärtner ihn in ziemlich drastischer Weise entfernen
mußte.
Nunmehr beauftragte Fräulein Dobers ihren Rechts-
beistand, den Doktor Streit senior, dem Herrn Schind-
ler ihre Willensmeinnng deutlich kund zu thun. Dies

geschah natürlich auf schriftlichem Wege, aber in einer
nicht allzuzarten Weise unter Hinweis auf die Folgen
des Hausfriedensbruches und der Androhung,, einen ge-
richtlichen Friedensbefehl gegen ihn extrahiren zu wollen.
Darauf kam ein Brief von Herrn Schindler senior
an Doktor Streit, dessen Inhalt geradezu beleidigend
war und in dem Schluß gipfelte, daß die Herren Dok-
toren Streit offenbar ihr Verhältnis zum Fräulein
Dobers zu benützen trachteten, um die beiden jungen
Leute, Fräulein^Ellen und seinen Sohn Georg, zn
trennen, obwohl eine heiße Neigung sie verbinde. Er,
der Unterzeichnete, werde als nächster Verwandter des
Mädchens kein Mittel unversucht lassen, die gegnerischen
Kabalen zu vereiteln.
Doktor Streit beantwortete diese Epistel nicht, es
war ein zu gemeines Machwerk; er schickte dieselbe



Gänseliesl. Nach dem Gemälde von E. Friedrichsen. (S. 554.)

Jllastr. Welt. 1894. 23.
 
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