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IweirrrrbvierrZigster: Icrbrtgcrng.


StuLtgcrvL, Leipzig, WeEn, Wien.

Der atte Kuffmeyer.
Roman
voll
W. W e n z.
(Fortsetzung.)
^^s war ein Sonntag heute, wenige Tage nach
dem Besuche des Herrn Schindler junior bei
seiner Großtante. Das bisher so schöne Wetter
hatte plötzlich Abschied genommen; ein grauer
Himmel blickte aus die herbstliche Erde herab, leise be-
gann es zu regnen und ein kühler Wind jagte die
Blätter von den Bäumen der großen Alleen. Desto ge-
mütlicher sah es im Wohnzimmer der Frau Wendel aus.
Seit drei Jahren Witwe, und zwar in einer keineswegs
günstigen Lage von ihrem Seligen zurückgelassen, hatte
sie sich entschließen müssen, etwas für die Verbesserung
ihrer pekuniären Verhältnisse zu thun. Feinere weibliche
Handarbeiten waren ihr ebenso sremd, wie der Tochter
Frida, einem wenig hübschen, säst zu robusten Mädchen,
die etwas schläfrig und langsam, aber gefällig gegen
ihre Freundinnen und überhaupt harmlosen Charakters
war. Und so hatte sich denn Frau Wendel ein Herz
gefaßt und war herumgegangen zu Fräulein Dobers,
der Nachbarin und Besitzerin des Hauses, und hatte
sie gebeten, ihr, entgegen dem Paragraph neun des
Mietskontraktes, zu erlauben, daß sie Zimmer vermieten
dürfe, natürlich nur an einzelne Damen; sie möge so
gern wohnen bleiben, aber den Mietzins nur aus
eigenen Mitteln zu bestreiten, sei ihr nicht möglich.
Und Fräulein Dobers war ihr mit immer gleicher
Freundlichkeit entgegen gekommen und hatte die Bitte,
in Berücksichtigung der bedrängten Lage der Witwe,
gern bewilligt.
Was wäre auch aus der armen Frau geworden,
hätte sie die liebe Nachbarschaft verlassen müssen!
Darunter verstand sie freilich in erster Reihe die zahl-
reichen Klatschfreundinnen, ohne welche sie nun einmal
nicht existiren konnte.
Heute präsidirte Frau Weudel einem Damenkaffee,
wozu das Wetter so recht paßte, denn wenn der Regen
an die Scheiben klopft, plaudert sickps am gemütlichsten.
Sie saß auf dem Sofa in einem schwarz und grau
melirten Kleide, das zu dem wachsbleichen, mageren
Gesicht und den vergißmeinnichtblauen Augen einen
wunderbaren Kontrast bildete, und trug die Haube
mit den ewigen lila Bändern; eine Halbtrauer, die sie
gelobt hatte, nie wieder abzulegen. Ihr zur Rechten,
im Lehnstuhl des Seligen, hatte Fräulein Dobers Platz
genommen. Sie war unverändert dieselbe geblieben,
die letzten zwölf Jahre hatten ihr nichts anhabe::
können, nur das Haar mochte um einen Schein weißer-
geworden fein, aber die Augen, die schönen treuen
Augen, blickten noch ebenso vertrauenerweckend in die
Welt hinein. Sie trug ein feinkarrirtes, dunkelgraues
Seidenkleid, um den Hals eine dünne, venetianische
Kette, und in den fleißigen Händen das nimmer
ruhende Strickzeug.
Den Sofaplatz neben der Wirtin nahm Frau Olga
Kröger ein, die Gattin des Kapitäns der „Esmeralda",
einer prächtigen Bark, welche dem Hause I. H. Schenken
gehörte. Frau Wendel und die Kapitänsfrau waren
seit vielen Jahren gute Bekannte, besuchten sich ab und
Zllustr. Welt. 1894. 22.

Die treuen Wächter.
Nach dem Gemälde von Otto Gebt er.


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