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Irveiunbvierzigster Icrhrgcrrrg.


SLuttgcrrL, Leipzig, Wertin, Wien.

Im Uetz.
Novelle von
Alexander W ö m e r.
(Fortsetzung.)

Der große Wolfshund, welcher tagsüber an der
Kette lag, sprang bellend und knurrend aus seinem
Häuschen. Hedi rief gebieterisch ihr: „Kusch, Tyras!"
und schweifwedelnd kauerte er sich zu ihren Füßen.
Sie bog sich zu ihm nieder und streichelte sein zottiges
Fell. Sie schien sehr gut Freund mit ihm zu sein.

und Elsbeth war es nicht möglich, wahrend dieser
kleinen Manöver ihre Gesichtszüge zu beobachten. Zur
Verstellung war Hedi ja sonst unfähig.
Der Bleicher, eine vierschrötige Gestalt, kam ihnen
entgegen, lüftete ehrerbietig seine Mütze, und Hedi redete
sachverständig mit ihm über die Stiege Leinwand,

^^lsbeth ging rasch, fast mit Stnrmesschritten nach
Hause. Es war geradezu unglaublich, was
sie hier für eine Rolle spielte. Der Ton dieses
Herrn Probst hatte etwas Aufreizendes für
ihre Nerven — nun, er war es gewohnt, angebetet
zu werden in seinem Kreise, die Kleine hatte ja zu
ihm aufgeschaut wie zu ihrem Gott.
Eiu Seufzer stahl sich aus ihrer Brust, dessen
Ursprung sie nicht ergründen wollte. In ihrem Leben
hatte solch ein Mensch gefehlt, dessen Autorität sie
anerkennen, dem sie Anbetung hätte zollen können
nirgends, nirgends gab es für sie ein Ideal, zu dem
sie ausschauen konnte.
Am Nachmittage saß sie mit der Tante und Hedi
in der Fliederlaube im Garten. Sie mühte sich sicht-
lich, nicht die Salondame herauszukehren, so einfach
und freundlich zu sein wie nur möglich.
Hedi las: „Also gingen die zwei entgegen der
sinkenden Sonne - " und ihre Stimme, die anfangs
noch verschleiert klang, hob sich allmälich zu freierem
Ton. Das schöne idyllische Bild nahm ihre Seele
gefangen, sie vergaß, wo sie war uud wer ihr zuhörte.
Elsbeth saß tief über ihre Arbeit, eine zierliche
Goldstickerei, gebeugt, die Kleine las wirklich besser,
als sie gedacht hatte, der Gegenstand lag ihrem Em-
pfinden günstig und bequem. Taute Majorin lehnte
sich nrit einem Ausdruck innigen Behagens in ihren
bequemen Gartenstuhl zurück und hörte so gespannt,
als wäre ihr die Dichtung völlig unbekannt.
Elsbeth aber kannte ihre Mienen schon, es war
die Befriedigung darüber, daß ihr Schützling und
Liebling sich heut so gut prüsentirte, welche sie be-
haglich stimmte.
Hedi bot der jungen Gefährtin das Buch mit der
schüchternen Frage, ob sie sie etwa ablösen wolle;
Elsbeth wies es mit höflicher Geberde zurück.
„Sie lesen mit so viel innerem Anteil und Nach-
empfinden, daß ich es Ihnen schwer gleichthun kann,"
sagte sie mit einem Lächeln, das dem Kompliment
einen Zweifel beigesellte. Aber niemand achtete daraus.
Als die zum Lesen bestimmte Stunde abgelaufen
war, schlug Elsbeth einen gemeinsamen Spaziergang
vor. Wollte die Majorin einen Versuch machen, die
beiden einander näher zu bringen, sie schützte Ermüdung
vor und ließ die beiden allein gehen.
Elsbeth fühlte sich nicht gerade erheitert durch den
Gedanken an das tsts-ä-tsls, ihre Begleiterin vielleicht
auch nicht.
Als sie aus der Pforte des Vorgartens traten,
sah Elsbeth eine hohe Gestalt, die sie, ohne es sich
gestehen zu wollen, in all diesen Tagen gesucht und
nicht erspäht hatte, oben um die Ecke biegen.
Doktor Riek ging zur Stadt und sie mußten not-
wendig Zusammentreffen. Ah! — war das ein be-
rechneter Kunstgriff, ein gewandtes Manöver von der
Kleinen ? - sie erklärte plötzlich, noch eine Bestellung aus
dem Bleichplatz machen zu sollen, und bog dahin ab.
Elsbeth mußte ihr folgen, und so blieb Doktor Riek
ihnen außer Grußweite.
Jllusir. Welt. 1894. 16.

„Behüt dich Gott, es war' so schön gewesen!" Nach dem Gemälde von A. Müller-Lingke. (S. 382.)
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