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Das Glück von Trnnertsn.
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A. Von Werfakk.
Erstes Kapitel.
„Mispel" hatte noch nie eine so schlechte
Fahrt gemacht. Vor vierzehn Tagen verließ
sie, nach New-Pork bestimmt, den Hasen von
Liverpool und noch hatte sie die Banks von
Neu-Fundland nicht passirt. Ein zäher Nordwest, der
nach Sonnenuntergang
gewöhnlich zu einem
richtigen Sturm sich
steigerte, zwang den
Dampfer, um einiger-
maßen seine Macht zu
brechen, einen nördlichen
Kurs einzuschlagen, dazu
gesellte sich ständiger
dichter Nebel, der nicht
einmal den Blick von
einem Ende des Schisses
bis zum andern schweifen
ließ.
Die Mispel stampfte
ziellos in dem grauen
Chaos von Woge zu
Woge. Seit einer Woche
wär jede Gradberechnung
mit den Instrumenten
unmöglich; Kapitän
Read mußte allein nach
seinem seemännischen In-
stinkt steuern.
Eisige Kälte, Sturm
und Nebelstaub, welche
das Deck schlupfrig wie
eine Eisbahn machten,
der herabgedrückte, dicht
über dasselbe sich wäl-
zende Qualm aus dem
Schornstein machten ei-
nen Aufenthalt im Freien
wa^ö^r^JalMszei^^e^ Bebenhausen, Landsitz des Königs Wilhelm II. von Württemberg. (S. 259.)
mäß — Januar — hie
Passagierzahl eine geringe. Die Kajüte zählte nur
zwölf Insassen und auch das Zwischendeck bot reichlich
Raum zu freier Bewegung, wodurch die Leiden der
sonst unter gleichen Umständen gewiß bedauernswerten
Passagiere bedeutend gemildert wurden.
Zu dieser Unbill der Witterung kam in der ersten
Kajüte noch eine peinlich sich fühlbar machende Dis-
harmonie der Gesellschaft, welche sich bereits nach
wenigen Tagen in zwei streng geschiedene Parteien
spaltete Die Veranlassung war folgende: Der Arzt
des Schiffes machte eines Mittags den Vorschlag, da
es an Platz nicht fehle, eine Frau aus dem Zwischen-
deck mit einem kleinen Mädchen, welche augenscheinlich
den besseren Klassen angehöre und schwer von der
Seekrankheit befallen sei, in die erste Kajüte herüber
zu nehmen, es sei natürlich dazu die Einwilligung
sämtlicher Kajütepassagiere erforderlich, welche er' hie-
Jllustr. Welt. 1894. 11.

Die dem Ingenieur zu liebe mit ihren Ansichten
Zurückhaltenden,' welche in ihrem starren, durch die
Seekrankheit noch vermehrten Egoismus die Uebersied-
lung der betreffenden Frau mit ihrem Kinde als eine
Veeinfluffung ihrer Bequemlichkeit betrachteten, nahmen
sofort die Partei des Herrn mit der blauen Brille,
eines gewissen Mister Holston, wie man rasch in der
Passagierliste nachlas.
Der Ingenieur war empört, sein lebhaftes Tempe-
rament ließ ihn seine Stellung als Bediensteter des
Schiffes vergessen.
„Wie kann ein Mann einer kranken Frau — Sie
hören ja, daß sie seekrank ist — eine Erleichterung
verwehren — ist das möglich?" sagte er, durch bei-
fälliges Gemurmelseiner
Gesinnungsgenossen un-
terstützt.
„Wie kann ein Mann,
noch dazu in Ihrer Stel-
lung, ein solch eigentüm-
liches Interesse an dieser
kranken Frau verraten
und alle übrigen Passa-
giere damit belästigen?"
entgegnete Mister Hol-
ston, ebenfalls sekundirt
von seiner Partei.
„Wenn ich Ihnen
sage, daß ich die Frau
noch mit keinem Auge
gesehen, so wird das
hoffentlich genügen, Ihre
Verdächtigung zurückzu-
weisen," entgegnete
Braddon. „Ihnen scheint
allerdings menschliche
Teilnahme, ohne daß
etwas dabei abfällt, un-
denkbar "
Holston lächelte cy-
nisch und aß ruhig wei-
ter. Der Kapitän, wel-
cher bisher sich absichtlich
nicht einmischte, ersuchte
jetzt im Tone des Be-
fehles, die Sache beruhen
zu lassen.
„Die Frau bleibt,
wo sie ist." Damit war
es für den Augenblick zu
Ende, doch die Uneinigkeit wich nicht mehr, weniger
aus Anlaß der an und für sich geringfügigen, rasch
vergessenen Sache, als genährt durch den ansteckenden
Haß dieser beiden Männer, um welche sich unwillkürlich
Gruppen bildeten.
Braddon fühlte ein natürliches Verlangen, diese
Frau, der zu liebe er einen tüchtigen Rüffel von feite
des Kapitäns erhalten, kennen zu lernen. Er errötete
als er sie sah, und zwar aus zwei Gründen. Der
Zorn gegen seinen Gegner, welcher ein solches Geschöpf
in diese Räume, in diese Gesellschaft bannte, stieg von
neuem in ihm auf, und dann der Gedanke, daß der
Verdacht, den dieser Holston ausgesprochen, der Ver-
dacht persönlichen Interesses, sehr nahe liegen mußte.
Ein schöneres Frauenbild hatte er nie gesehen als jetzt,
auf einem Strohsack ausgestreckt, die völlige Apathie
der Seekrankheit in den reinen, klaren, durch die Blässe
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mit zu erlangen hoffe. Der erste Maschineningenieur,
Mister Thomas Braddon, welcher durch sein frisch-
männliches, heiteres Wesen sich rasch die Sympathie
aller erworben, nahm sich, in seiner gewohnten, etwas
lärmenden, aber, weil aus gutem Herzen stammenden,
nicht aufdringlich erscheinenden Weise, der armen Un-
bekannten warm an.
Der Vorschlag wurde von vielen mit lautem Beifall,
von einigen aber mit auffallender Kühle und sichtlich
nur aus Rücksicht auf Braddon, mit dem man es nicht
verderben wollte, mit Stillschweigen ausgenommen.
Schon freute sich dieser feines Sieges, da erklärte
sich eine scharf accentuirte Stimme entschieden dagegen.
Abgesehen von der Herzlosigkeit, die, so nüchtern aus-

gesprochen, auch die Bedenklichen abschreckte, lag etwas
Verletzendes, Feindliches gegen den Ingenieur darin,
so daß der breitschulterige Mann, dessen Antlitz den
zarten, wachsartigen Schimmer besaß, welcher bei tiefem
Schwarz des Haares und des Bartes den Südländern
oft eigen ist, sich an dem unteren Ende der Tafel erhob,
um seinen Gegner in das Auge fassen zu können.
Derselbe war ein starkknochiger, hochgewachsener
Mann mit dunkelrotem Vollbart. Unter einer umfang-
reichen blauen Brille, welche den Ausdruck des Auges
nicht erkennen ließ, ragte, von ihr dunkel beschattet,
eine starke, mehr derbe Sinnlichkeit als Energie ver-
ratende Nase hervor.
Auch er wandte sich herausfordernd gegen den In-
genieur. Zwei Feinde aus natürlicher Antipathie
standen sich gegenüber, das fühlte jeder der An-
wesenden.
 
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