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27. Lest.
Stuttgart, Leipzig, Merlin, Wien.
Am Himmelreich.
Rowan von S. Kyn.
(Fortsetzung.)
ie Mitternachtstunde fand das alte Haus wieder
in tiefster Ruhe. Kein Helles Fensterauge
blickte mehr die
stille Straße hin-
auf und hinab, kein Laut
stahl sich hinaus in die
schweigende Nacht. Und
doch fah es hinter den ge-
schloffenen Läden der Par-
terrefenster durchaus nicht
so friedlich aus, wie es
den Anschein hatte.
Im Arbeitszimmer
Lebrecht Maschkes faß
Ellen im weißen Negligö
am Tisch, die Ellenbogen
aufgestemmt, das trotzig
verzogene, dunkelgerötete
Gesicht in die Hände ge-
stützt. Der Mund zeigte
den scharf ausgeprägten
Zug eigensinnigen Wider-
spruches , während der
Vater mit finster gefalteter
Stirn das Zimmer durch-
maß.
Jetzt blieb er wieder
vor ihr stehen, mit scheuem,
fast ängstlichem Blick ihr
Auge suchend. „Sei ver-
nünftig, Ellen, Du wirst
Dir von nun an mehr
Mühe geben, Ulrichs Wohl-
gefallen zu erringen. Euer
Verkehr zusammen wird
ja nicht wärmer, immer
nur kühler!" schloß er in
unverhüllter Unruhe.
Die Tochter warf den
Kopf in den Nacken. Ihre
Augen funkelten. „Soll
ich ihm nachlaufen? Ihn
vielleicht an den Haaren
festhalten?" höhnte sie in
Hellem Zorn. „Du forderst
zu viel, Papa. Ich kann
und werde mir sein nach-
lässiges Benehmen nicht
mehr gefallen lassen, mag
daraus werden, was will!"
Die dicke Ader auf Leb-
rechts Stirn trat wie eine
blaue Schnur hervor. Den-
noch klang feine Stimme
anfänglich ruhig, fast zärt-
lich überredend, als er
weiter fortfuhr. „Ich war
Dir stets ein gütiger Vater,
Ellen," sagte er. „Wenn
sich Deine Wünsche irgend-
wie mit meinem Zweck und
mein Ziel, uns mit den Brenkmanns zu vereinigen,
ins Auge, weihte ihm meine Jugend, mein ganzes
Mannesalter! Immer wieder, wenn ich es erreicht zu
haben glaubte, schlüpfte es mir aus der Hand und nun,
da ich es endlich festzuhalten meine, will es mir das
eigene Kind wieder aus der Hand winden?"
Das ganze Gesicht Ellens lachte. „Schon in Deiner
Jugend hast Du an meine
Verbindung mit Ulrich ge-
dacht? Da Du sehr spät
heiratetest, müssen wir
beide damals noch im be-
rühmten Storchenteich ein
beschauliches Dasein ge-
führt haben. Ich muß
Deine Kombination be-
wundern, Papa. Ich
unterschätzte Deine Phan-
tasie bisher."
Der lässig scherzende
Ton Ellens traf Lebrecht
Maschke hart. „Kind, das
Du bist!" grollte er. „Es
ist mir bitter ernst mit
dem, was ich Dir anver-
traue. Willst Du mich
denn nicht verstehen in
meinem Streben? Sieh,
anfänglich gedachte ich
Kordula Brenkmann zu
heiraten. Sie und ihr
Vater waren mir nicht
abgeneigt —
„Sie zog es aber vor,
mit dem hübschen Schau-
spielerdurchzugehen," voll-
endete die Tochter in fri-
voler Lustigkeit, ohne jede
Rücksicht, daß es sich um
ihren Vater handle. „Du
konntest Dich trösten, da
Du mit ihren beiden Brü-
dern hättest teilen müssen.
Ein schlechtes Geschäft!"
Lebrecht blickte stier vor
sich hin. „Ich wäre mit
ihnen fertig geworden!
Verlasse Dich darauf!"
murmelte er zwischen den
fest zusammen gebissenen
Zähnen.
„Balduin Brenkmann
schied sich allerdings sehr
bald aus der Familie,"
erinnerte sich Ellen mit
einem gewissen Interesse.
Der Vater hatte sich
bei ihren Worten jäh ab-
gewendet. Ein wie in
Stein gemeißeltes Profil
zeigte sich der Tochter. „Er
that es," gab er langsam
zu, „nur daß diese Ge-
fälligkeit mir durch Kor-
dulas Leichtsinn keinen
Nutzen bringen konnte."
Ziel vertrugen, habe ich sie Dir zu erfüllen gesucht.
In diesem Punkte aber gibt es für mich keinen Wider-
spruch. Du mußt Dich fügen. Du wirst unter allen
Umständen Ulrichs Gattin. Mädchen, willst Du denn
das Werk eines ganzen Menschenlebens vernichten?"
brach er in plötzlicher unbezähmter Heftigkeit aus.
„Kaum, daß ich die Kinderschuhe vertreten, faßte ich
„Da Privatier." (S. 651.)
Jllustr. Welt. 1894. 27.
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