Um der Kiebe willen.
Roman von
Weinhold Hrtmarm.
den Damen wußte er wohl und er war sogar zwei-
mal in ihrem sogenannten Salon mit ihm zusammen-
getroffen. Aber er ahnte nicht, bis zu welchem Grade
von Vertraulichkeit dieser Umgang bereits gediehen
sei, und so wenig sympathisch ihm auch der stutzerhafte,
süßlich liebenswürdige Russe war — der Argwohn,
daß er in ihm vielleicht einen Nebenbuhler zu sehen
habe, hatte doch niemals Wurzeln gefaßt in seinem
Herzen. Sein Glaube an Margot war ja felsenfest, daß
er sich selber eine Beleidigung des geliebten Mädchens,
wie sie in solchem Verdacht enthalten gewesen wäre,
niemals verziehen haben würde. Der Mann war ihm
Achtzehntes Kapitel.
^^^olsgang Normanns erste Empfindung beim
Empfang des kurzen Briefchens, welches Mar-
got ihm geschrieben, war die einer sehr leb-
haften Freude gewesen. Besaß er doch bisher
nicht eine einzige Zeile von ihrer Hand, und wenn
dies Billet in seiner knappen, höflich gemessenen Form
auch nicht die geringste Aehnlichkeit mit einer Liebes-
botschaft hatte, so trug es doch die Schriftzüge eines
Wesens, das ihm über alles teuer war, und er sah
in der bloßen Thatsache, daß sie ihn zu sich rief, einen
beglückenden Beweis ihrer Liebe.
In voller Ungetrübtheit wollte diese Stimmung
bis zu der Stunde, die Margot für seinen Besuch
bestimmt hatte, freilich nicht Vorhalten. Je öfter er
ihren Bries, der ihm durch einen Dienstmann über-
bracht worden war, zur Hand nahm, desto mehr fiel
ihm seine kalte, fast geschäftsmäßig nüchterne Fassung
aus, und desto befremdlicher berührte ihn das Fehlen
jedes warmen oder auch nur freundlich klingenden
Wortes.
Einen Gruß wenigstens hätte sie ihm doch senden
können — irgend eine herzlichere Wendung, die nur
für ihn allein verständlich zu sein brauchte, hätte sich
doch wohl selbst dann anbringen lassen, wenn der
Bries dazu bestimmt war, auch von ihren Angehörigen
gelesen zu werden! Es war dem jungen Ingenieur
zuletzt, als ob ein Hauch eisiger Kühle von diesem ele-
ganten, sein parfümirten Papier ausginge, das noch
immer den breiten, schwarzen Rand als Sinnbild der
Trauer zeigte.
Und er sehnte sich doch so sehr nach einem sichtbaren
Zeichen ihrer Liebe. Seit jenem beglückenden Abend
am User des blauen Havelsees hatte er nicht ein einziges-
mal Gelegenheit gefunden, Margot allein zu sprechen.
Ja, er hatte sie überhaupt viel seltener gesehen, als
es vordem der Fall gewesen war. Namentlich während
der letzten Wochen hatte man ihm säst jedesmal, wenn
er einen Besuch in Fräulein von Plothows Pensionat
beabsichtigte, unten beim Pförtner gesagt, daß die
Damen ausgegangen seien. Und wenn er wirklich das
Glück gehabt hatte, sie anzutreffen, so hatte er während
der Unterhaltung umsonst auf ein Wort oder einen
Blick Margots gewartet, daraus er die beseligende
Gewißheit hätte gewinnen können, daß sie noch immer
des Versprechens eingedenk sei, welches sie ihm damals
im Angesicht der untergehenden Sonne gegeben.
Er wußte ja, daß sie den Wunsch hegte, das süße
Geheimnis noch vor ihrer Mutter und vor Edith be-
wahrt zu sehen; aber es wollte ihm doch scheinen, als
ob sie in dem Bestreben, sich nicht zu verraten, eine
allzu große Rücksichtslosigkeit gegen seine Empfindungen
offenbare. Ihre unnahbare Kälte, die sich wohl ge-
legentlich einmal auf einen mahnenden Blick der Ba-
ronin in gnädig herablassende Freundlichkeit ver-
wandelte, hätte ihn ja gewiß auf das tiefste gekränkt,
wenn er sich in der Erinnerung an jenes Gespräch
nicht immer wieder hätte sagen dürfen, daß es gar
nicht ihr wahres Gesicht sei, welches sie rhm da zeigte.
Von dem Verkehr des Grasen Arkadi Apraxin mit
Das Heim der Nürnberger Küustlerklanse. Nach einer Photographie von Anton Schoener. (S. 162.)
Jllustr. Welt. 1894. 7.
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