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Aweiundvierzigster Zcrhr-gcrng.

26. Oeft.

StuLLgcrrrL, Leipzig, MerUin, Wien.

Im Himmelreich.
Roman
von
S. Kpn.

4.
^^ft^lrich Brenkmann hatte endgiltig von dem Hans
der Väter Besitz genommen.
Er bezog das erste Stockwerk, das bereits
die Eltern inne gehabt. Die alte gediegene
Pracht mit ihren reichgeschnitzten, geräumigen Schrän-
ken und Truhen, den breiten Diwans und Sesseln, den
schweren, standhaften Tischen und Stühlen ließ sich
doch wirklich benützen. Er hatte einen Diener mit-
gebracht Zu seiner persönlichen Bedienung, sonst blieb
alles beim alten, nur daß der Junggesell unten bei
Maschkes die Mahlzeiten einnahm.
Am ersten Mittag, als er sich in dem modern ein-
gerichteten Speisezimmer der Parterrewohnung nieder-
ließ, siel es ihm sofort in die Augen, daß nur vier
Couverts ausgelegt worden waren.
„Nun? Und Benedikta?" fragte er etwas ver-
wundert.
Ellen glättete ein wenig besangen das Spitzen-
gekräusel ihres Gewandes. „Sie wollte heut nicht mit
uns essen!" klagte sie etwas weinerlich.
Lebrecht Maschke ließ, indem er die Serviette sorg-
lich auf den Knieen ausbreitete, einen schnellen, for-
schenden Blick über den Neffen gleiten. „Ihre Unterrichts-
stunden fügten sich nicht in unsere Hausordnung, darum
hat sie sich gewöhnen müssen, allein aus ihrem Zimmer
zu speisen!" gab er der Wahrheit die Ehre.
Seidem sich Ulrich von seinem Mündel die Adresse
ihres zukünftigen Prinzipals eingesordert, hatten sie
sich nicht mehr gesprochen. War es ihr übereinstim-
mendes Bestreben, oder gingen sie sich instinktiv aus
dem Wege, genug, nur der Zufall ließ sie dann und
wann einmal aift der Treppe oder im Flur an ein-
ander vorübereilen, wo ein hastiger, kühler Gruß aus-
reichte.
Und wie wartete dabei Benedikta aus seinen Be-
scheid! — In wachsender Unruhe verbrachte sie die
Tage. Nun das Ziel erreicht war, ihr Studium seinen
Zweck für sie verloren hatte, brach ihr ganzer Wider-
wille gegen die trockene Gelehrsamkeit hervor. Nur
nichts mehr damit zu thun haben! Aber wie nun die
Tage sehnsüchtigster Erwartung aussüllen, wo man ihr
jede freie Regung versagte? Lautlos, mit aller Vor-
sicht schweifte sie durch das große Haus, suchte sich
Brigitten nützlich zu machen, wo sie wußte und konnte,
aber das zahlreiche Dienstpersonal schränkte ihre Thätig-
keit aus so kleinfügige Handreichungen ein, daß ihr
Wunsch nach besriedigender Thätigkeit trotz allem guten
Willen unerfüllt blieb. Ja, wenn sie die sreie Zeit
hätte bei Onkel Balduin zubringen dürfen! Aber sie
war ja keine Viertelstunde sicher, von Ulrich gerufen
zu werden, um ihren Freibrief in Empfang zu nehmen.
Gerade als sie einmal wieder über den weiten,
steinbelegten Flur nach der Vorratskammer eilen wollte,
Brigitte um Beschäftigung zu bitten, hörte sie plötzlich
leises Weinen. Weichherzig und teilnehmend, wie sie
war, forschte sie dem Klange nach, um Ellens Zofe zu
finden, die auf der oberen Kellerstuse saß, den Kopf
Jllustr. Welt. 1894. 26.

Liesels Frühschoppen. Nach dem Gemälde von I. Kleinschmidt. (S. 626.)


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