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Dingen beschäftigt, und es verlangte ihn noch mehr
als sonst nach ungestörter Einsamkeit.
In der Nähe der sogenannten Löwenbrücke gewahrte
er vor sich eine schlanke, dunkel gekleidete, weibliche
Gestalt, deren anmutige Bewegungen und deren leichter
Gang ihm sogleich bekannt erscheinen wollten. Mehr
einer unwillkürlichen Eingebung folgend, als weil es
ihm darum zu thun gewesen wäre, ein romantisches
Abenteuer zu erleben, beschleunigte er ein wenig seine
Schritte. Ihr knirschender Klang auf dem gefrorenen
Schnee mußte seine Annäherung der einsamen Spazier-
gängerin bald verraten haben, und da sie eine Be-
lästigung fürchten mochte, wandte sie hastig das
Köpfchen.
„Fräulein Edith!" rief Wolfgang mit ganz un-
verhohlener Freude, als er sie erkannte. „Wie gut
hat der Zufall es heute mit mir im Sinn!"
Trotz ihres dunklen Schleiers hatte er gesehen, wie
es bei seinem Anblick heiß über ihr feines Gesichtchen
geflammt war, und für einen Moment kam ihm in
der Erinnerung an fein noch ungesühntes Unrecht die
Furcht, daß sie seinen vertraulichen Gruß als eine
Beleidigung empfunden haben könnte.
Aber sie selber zerstreute seine Besorgnisse rasch,
indem sie ihm freundlich wie in vergangenen Tagen
ihre Hand reichte und anscheinend unbefangen er-
widerte :
„Auch ich freue mich des zufälligen Zusammen-
treffens, Herr Normann! Wir haben ja so lange nichts
mehr von Ihnen gehört."
Er ging an ihrer Seite weiter, und sie plauderten,
als ob nichts vorgefallen wäre, das sie einander hätte
entfremden können. Wolfgang erkundigte sich nach
dem Befinden der Baronin und sprach mit großer
Herzlichkeit sein Bedauern aus, als er hörte, daß ihr
Gesundheitszustand nicht sehr zufriedenstellend sei.
Margots Name aber wurde nicht zwischen ihnen ge-
nannt, und wie in stillschweigender Übereinkunft ver-
mieden sie in ihrer Unterhaltung alles, was sie zuletzt
aus die Person der jungen Braut hätte führen können.
„Sie befinden sich natürlich noch immer in Ihrer
Stellung als Direktor der Lampenfabrik?" fragte
Edith, als es eine kleine Pause in ihrem Gespräch
gegeben hatte, und Wolfgang antwortete:
„Ja; aber ich werde den Posten voraussichtlich
nicht lange mehr bekleiden. Sobald sich ein geeigneter
Nachfolger gefunden haben wird, lege ich ihn nieder."
„Waren Sie denn nicht durch eineu langen Vertrag
an die Eigentümer der Fabrik gebunden?"
„Allerdings! Doch es hat sich zu meiner Freude
eine Möglichkeit geboten, diesen Vertrag aus gütlichem
Wege zu lösen. Es ist mir nämlich gelungen, eine
kleine Verbesserung in der Konstruktion und Her-
stellungsweise der Lampen zu finden, die mir ohne
Zweifel patentirt werden wird und deren Besitz für
das Etablissement von ziemlich bedeutendem praktischem
Werte ist. Man hat mir nun zwar angeboten, mich
zum Teilhaber der Fabrik zu machen und die Hergabe
des zu erwartenden Patents an die Stelle des Ein-
lagekapitals zu setzen; aber es zieht mich so mächtig
zu meiner alten Beschäftigung zurück, daß ich es
uicht über mich gewann, den verlockenden Antrag an-
zunebmen. Wir sind also übereingekommen, daß ich
den Begründern der Fabrik die Ausnützung meines
Patents gegen Gewährung eines gewissen Gewinn-
anteils überlasse und daß man mich dafür von der
weiteren Erfüllung meiner kontraktlichen Verpflich-
tungen entbindet. Aber verzeihen Sie, Fräulein Edith,
das alles sind Dinge, welche für Sie am Ende nur
ein sehr geringes Interesse haben können."
Wenn schon die Aufmerksamkeit, mit der sie ihm
zugehört hatte, einer solchen Vermutung widersprach,
so mußte ihre rasche Antwort vollends jede Besorgnis
zerstreuen, als ob er sie etwa durch seine Erzählung
gelangweilt habe.
„Warum sollte mich nicht interessiren, was für
Sie doch von so großer Bedeutung ist?" fragte sie
fast vorwurfsvoll. „Ich freue mich aufrichtig, daß
Ihre Hoffnungen sich so bald erfüllt haben und ich
wünsche Ihnen dazu von Herzen Glück."
Der Ton ihres Glückwunsches gab ihm die Gewiß-
heit, daß er ihn nicht nur als eine freundliche Redens-
art zu nehmen habe, und ihre warme Teilnahme machte
ihn so stolz und froh über die durch eigene Kraft herbei-
geführte Wendung seines Geschickes, wie er es nicht
einmal in der glücklichen Stunde des Gelingens ge-
wesen war. In dem unwiderstehlichen Bedürfnis, ihr
recht lebhaft und innig zu danken, erfaßte er abermals
ihre Hand, und Edith überließ sie ihm willig für die
Dauer einiger Sekunden. Dann aber, als ihr Blick
dem feinen begegnete, zog sie sie rasch wieder zurück
und sagte, ersichtlich mit ihrer Verwirrung kämpfend,
hastig:
„Erzählen Sie mir doch noch etwas von der Art
Ihrer Erfindung, vorausgesetzt, daß Sie mich nicht
für zu unwissend halten, es zu verstehen."
Er willfahrte ihrem Verlangen, und sie bewies ihm
durch ihre Einwürfe und Fragen, daß sie in der That

ZilustrirLe Welt.

alle die nüchternen, technischen Dinge, von denen er
da sprach, vollkommen begriff. Wie im Fluge gingen
ihnen bei diesem Geplauder die Minuten dahin und
erst als sie plötzlich die schlanke Säule des Sieges-
denkmals vor sich auftauchen sahen, erinnerten sie sich
gleichzeitig, wie lang nun schon dieser gemeinsame
Spaziergang war.
„Ich muß nach Hause zurückkehren," sagte Edith
etwas verlegen, „und ich bin ja auch jetzt ganz nahe
bei unserer Wohnung. Aber ich hoffe, Herr Normann,
Sie vor meiner Abreise noch einmal zu sehen."
„Vor Ihrer Abreise?" fragte er, in der ersten
Ueberraschung außer stände, sein Erschrecken zu ver-
bergen. „Sie wollen Berlin verlassen — und viel-
leicht auf längere Zeit?"
„Wahrscheinlich auf immer! Sobald die —ihre
Stimme wurde plötzlich ganz leise und sie schlug die
Augen nieder „die Hochzeit Margots vorüber ist,
reise ich nach Oesterreich, um in der Familie eines
Grundbesitzers, der mit meinen seligen Eltern be-
freundet war, eine Stellung als Gesellschafterin anzu-
nehmen."
„Eine dienende — verzeihen Sie! eine abhängige
Stellung? O, Fräulein Edrth, wie konnten Sie zu
einem solchen Entschluß gelangen?"
„Er war sehr naheliegend, wie ich denke," erwiderte
sie einfach, „und ich finde in dem Gedanken nichts,
das mich erschrecken könnte. Es ist doch wohl natürlich,
daß die Tante bei ihrer verheirateten Tochter bleibt
und für mich wäre selbstverständlich kein Platz in
jenem Hause."
„Sie haben recht," sagte der Ingenieur nach einer-
kleinen Weile, „aber daß Sie nun so weit fortgehen
wollen und mit dem Gedanken, nie mehr zurückzu-
kehren —"
Es war ein Klang von wehmütigem Ernst in seiner
Stimme, und Edith vermied auch jetzt noch, ihn an-
zusehen.
„Es wird mich hier niemand vermissen," unterbrach
sie ihn ohne alle Bitterkeit, „und ich selbst, ich sehne
mich aufrichtig fort aus dieser Stadt, die ich niemals
geliebt habe und an die sich für mich nur wenig glück-
liche Erinnerungen knüpfen werden."
Er wußte ihr darauf nichts mehr zu entgegnen,
und sie gingen noch hundert Schritte weit stumm neben
einander her, bis sie an der Straße In den Zelten
am Rande des Parkes standen. Es war kein Zweifel,
daß sie nicht wünschte, noch weiter von ihm begleitet
zu werden.
„Ich kann es nicht über mich gewinnen, Ihnen
schon Lebewohl zu sagen, Fräulein Edith! Und so
gering auch am Ende die Hoffnung ist, daß mir der
Zufall noch einmal so günstig sem werde wie heute
— ich sage darum doch nur: Aus Wiedersehen!"
„Aus Wiedersehen!" wiederholte sie leise, und dann,
nach einem kleinen Schweigen, fügte sie errötend und
beklommen hinzu: „Es könnte ja sein, daß wir uns
gelegentlich wieder im Tiergarten begegnen. Seitdem
es der Tante verboten worden ist, bei rauhem Wetter
das Haus zu verlassen, mache ich den Spaziergang,
auf dem ich sie sonst täglich begleitete, zumeist allein."
Als schäme sie sich, ihm nach diesen Worten wieder
in die Augen zu sehen, eilte sie nach einem letzten
Neigen des zierlichen Köpfchens über den Fahrweg,
um rasch in die Beethovenstraße einzubiegen. Wolf-
gang blickte ihr nach, bis ihm einfiel, daß man ihn
vielleicht aus irgend einem Fenster beobachten und
etwas Auffälliges in seinem Benehmen finden könnte.
Aber es kostete ihn auch dann noch Ueberwmdung, sich
loszureißen und er kehrte sehr ernst und nachdenklich
an sein Tagewerk zurück.
Am nächsten Morgen ertappte er sich wiederholt
auf einer gewissen ungeduldigen Erwartung der Mittags-
zeit, auf einer Unruhe und Zerstreutheit, wie sie ihm
selbst in den Tagen seines bittersten Herzenskummers
ganz fremd gewesen war. Er nannte sich selber einen
Thoren und faßte zuletzt den Entschluß, feine Schritte
heute mittag überhaupt nicht nach dem Tiergarten,
sondern nach irgend einer gerade entgegengesetzten
Richtung zu lenken. Nichtsdestoweniger verzehrte er
im Speisehause sein Mittagsmahl mit einer unter
solchen Umständen ganz unmotivirten Hast, die sogar
den befreundeten Tischgenossen auffiel und ihnen Ver-
anlassung zu allerlei harmlosen kleinen Spöttereien
gab. Noch immer war er entschlossen, der Löwenbrücke
und ihrer nächsten Umgebung aus seinem Spaziergange
heute fern zu bleiben; aber zwischen den Säulen des
Brandenburger Thores leuchtete der blaue, wolkenlose
Winterhimmel so seltsam lockend und verführerisch, er-
öffnete sich ein so bezaubernd malerischer Ausblick auf
die bis in die feinsten Verästelungen mit blinkenden
Eiskristallen inkrustirten Baumwipsel, daß er der Ver-
suchung nicht widerstehen konnte, wenigstens ein paar
hundert Schritte weit in den Tiergarten hinein zu
gehen.
Und dann kamen ihm allerlei Gedanken, ernste,
gewichtige Gedanken, so daß er seines Weges nicht
mehr achtete und seinen Entschluß vom Vormittag

vollständig vergaß. Das heisere Krächzen eines Raben
erst, der über seinem Haupte dahinstrich, weckte ihn
aus seinen Grübeleien. Er blickte aus und sah gerade
vor sich die beiden erzenen Löwen, die ihm mit den
Brückenketten in dem geöffneten Rachen und mit ihren
Weißen Schneemützen überaus drollig erschienen. Er
lächelte, und dann spähte er, uneingedenk seines strengen
Vorsatzes, sehr aufmerksam umher. Wenige Minuten
später schritt er wieder an Ediths Seite über den
knisternden Schnee, und sie plauderten, nachdem die
erste Befangenheit des jungen Mädchens überwunden
war, heiter und fröhlich von allem, was ihnen eben
durch den Sinn ging. Ernsthafte Gegenstände wie
bei ihrer gestrigen Unterhaltung wurden überhaupt
kaum berührt und auch von der Trennungsstimmung,
die gestern ihrem Abschied einen etwas wehmütigen
Charakter gegeben, war nichts in den munteren Reden
zu spüren, die da hinüber und herüber flogen. Margot
würde große Augen gemacht haben, wenn sie hätte
vernehmen können, wie hell und frisch zuweilen Ediths
lustiges Auslachen klang, und die Mitarbeiter des
jungen Fabrikdirektors würden in seinem strahlenden
Gesicht kaum die ernsthafte, verschlossene Miene wieder
erkannt haben, an die sie sonst bei ihm gewöhnt waren.
Wohl eine Stunde lang wanderten sie so auf den
stillen Wegen dahin, wo ihnen nur selten ein Spazier-
gänger begegnete. Da blickte Edith plötzlich umher
und sagte halb belustigt, halb bestürzt:
„Ich weiß gar nicht mehr, wo wir uns eigentlich
befinden. Und ich halte Sie gewiß mit meinem Ge-
schwätz davon ab, zu Ihrer Thätigkeit zurückzukehren.
Führen Sie mich nur, bitte, auf einen Fleck, von dem
aus ich mich zurechtfinden kann und kümmern Sie sich
dann nicht weiter um mich."
Wolfgang bemühte sich lächelnd ihre Besorgnisse
zu zerstreuen; aber sie bestand darauf, jetzt nach Hause
zu gehen und so fügte er sich denn ihrem Verlangen.
Am großen Stern wollte Edith sich von ihm trennen,
doch nun bat er sehr herzlich, sie wenigstens noch ein
kleines Stück den Spreeweg hinab begleiten zu dürfen
und mit einem glücklichen Aufleuchten ihres seinen
Gesichtchens gab sie nach.
Sie hatten das Schloß Bellevue noch nicht erreicht,
als dicht hinter ihnen jemand Ediths Namen ries.
Wolfgang fühlte sich nicht eben freudig berührt, als
er seinen einstigen Jugendgespielen Viktor von Alten
erkannte. Der Regierungsassessor aber zeigte durchaus
keine Verlegenheit bei der unerwarteten Begegnung.
Er begrüßte zuerst in auffallend vertraulicher Weise
seine verwirrt dreinschauende Base und wandte sich
dann unbefangen an den Ingenieur.
„Das Vergnügen, Dich zu sehen, ist neuerdings
ein sehr seltenes für mich geworden, mein lieber Wolf-
gang! Ich glaubte. Du seiest zu stolz, um noch mit
uns zu verkehren, und ich freute mich deshalb doppelt,
als ich Dich hier so einträchtig mit Edith spazieren
sah. Leute, die weniger harmlos sind als ich, würden
sicherlich glauben, ihr hättet euch hier im verschwiegenen
Walde ein Rendezvous gegeben."
Edith, die vorhin ihren Schleier in die Höhe ge-
schoben hatte, um besser plaudern zu können, zog ihn
plötzlich rasch wieder über das Gesicht herab; aber sie
hatte ebenso wenig als Wolfgang eine Antwort auf
die scherzhafte Bemerkung ihres Vetters. Gezwungener
und unbeholfener, als es sonst seine Art war, suchte
Wolfgang ein gleichgiltiges Gespräch mit dem Assessor
anzuknüpsen, der in seiner aufgeräumten Stimmung
nicht zu bemerken schien, daß er hier zu einer sehr
ungelegenen Zeit als dritter im Bunde ausgetaucht
war. In schleppender Unterhaltung kamen sie bis
zum nächsten Kreuzweg; dann blieb der junge Fabrik-
direktor stehen, um sich zu verabschieden. Er hatte
als sicher angenommen, daß Viktor jetzt seine Ver-
wandte nach Hause begleiten würde, und es überraschte
ihn darum nicht wenig, als der Assessor Edith eben-
falls Adieu sagte.
„Da Du ohne Zweifel auch in die Stadt willst,
können wir recht gut noch ein Stück Zusammengehen,"
sagte er, indem er sehr freundschaftlich Wolfgangs
Arm ergriff. „Ich bin gerade aufgelegt, mit einem
guten Freunde zu plaudern und wir haben uns ja
auch seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen."
Es wäre unmöglich gewesen, das liebenswürdige
Anerbieten zurückzuweisen, auch wenn Wolfgang einen
viel triftigeren Grund dazu gehabt hätte, als er ihn
in Wirklichkeit besaß. Aber er war ein schlechter Zu-
hörer sür das Geplauder des Jugendfreundes; denn
alle seine Gedanken begleiteten die zierliche dunkle
Gestalt, die er raschen Schrittes in der Richtung nach
dem Kronprinzenuser hatte verschwinden sehen.
Zerstreut nur hörte er, was Viktor ihm von den
prächtigen Eigenschaften seines künftigen Schwagers
und von den zahllosen galanten Aufmerksamkeiten
Wagenhoffs sür seine Braut erzählte.
„Die Hochzeit wird allerdings ganz in der Stille
begangen werden — im engsten Kreise. Von einer
größeren Festlichkeit kann schon deshalb nicht die Rede
sein, weil das Trauerjahr eben erst abgelausen sein
 
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