Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Illustrierte Welt : vereinigt mit Buch für alle: ill. Familienzeitung — 49.1901

DOI issue:
Heft 17
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.56969#0409
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
410

dm ganzen Tag schuften wollte, das wäre für mich
unnatürlich. Wenn ich mal alt geworden bin und
keinen andern Zeitvertreib mehr finde, als arbeiten,
da mache ich's vielleicht auch so, wie Menzel; vor der
Hand aber bleibe ich so, wie ich bin."
Bei diesen Worten erhob er sich mit einem kräf-
tigen Ruck, so daß die Kissen seiner kunstvollen Lager-
statt zu Boden rutschten, und warf die Zigarette in
den Kohlenkasten, wobei die Asche auf den schmalen,
zierlich geflochtenen Filzteppich vor dem Sofa fiel. Dann
ging er ein paarmal im Zimmer auf und ab und
setzte sich schließlich nachlässig ans Klavier.
° Das entlockte der guten Tante ein freundlich an-
erkennendes Lächeln, und sie sagte: „So ist es recht!
Wenn man jahrelang so teure Stunden gehabt hat,
muß man eigentlich jeden Tag zwei Stunden Ton-
leitern üben, um sich die erworbenen Fertigkeiten auch
zu erhalten."
Hans übte aber keine Tonleitern, sondern ließ die
rauschenden Töne des Walzers aus dein ersten Akte
der „Traviata" erklingen.
Er spielte mit einer künstlerischen Leidenschaft, die
inan in dem großen faulen Schlingel gar nicht ver-
mutet hätte. All die Lebenskraft und Genußfreudig-
keit, die in den starken Rhythmen dieser leuchtenden
Musik atmet, kam unter seinen Händen zu hinreißen-
dem Ausdruck. „Laßt uus schlürfen das Leben in
durstigen Zügen" sang das Klavier, und Tante Hedwig
kehrte dabei die Zigarettenasche zusammen und brachte
die Stühle und die umhergestreuten Kissen wieder in
Ordnung.
Plötzlich vernahm sie Schritte auf der Treppe,
hörte die Vorsaalthüre gehen und eilte hinaus, um
die von der Arbeit heinikehrenden Glieder der Familie
zu bewillkommnen. Am leichtesten ging gewöhnlich
der Empfang Vater Martins vor sich, der immer in
heiterer Ruhe erschien und sogar bei weniger befrie-
digendem Geschäftsgang ein freundliches Gesicht zu
zeigen im stände war.
Heute war er aber ganz besonders vergnügt; denn
im Ladengeschäft hatten sie beinahe ausverkauft, und
auch die auswärtigen Bestellungen waren in mehr als
ausreichender Anzahl eiugelaufen. Er erklärte mit
behaglichem Grunzen, einen Mordshunger zu haben,
fuhr eilig in seine Hausgewänder und pflanzte sich
pfeifend oben an den Eßtisch. Dazu vollführte er
auch mit Händen und Füßen einige kleine trommelnde
Geräusche.
Frau Karolines Nerven mochten diese Musik nicht
gut vertragen können, und so ersuchte sic ihren Mann
in zartem, rücksichtsvollem Tone:
„Weißt du, liebes Männel, laß das Pfeifen noch
ein bissel sein, bis wir einen Löffel Suppe gegessen
haben. Es bekommt daun besser."
Obwohl sie das ganz langsam und leise mit sanfter,
ein wenig gebrochener Stimme und mit gutmütigem
Augenzwinkern und liebenswürdigem Lippenzucken sagte,
hielt Vater Martin doch fast erschrocken mit seinem
bescheidenen Lärm sofort ein und blickte besorgt auf
seiner Gattin Miene.
Diese aber wandte sich an ihre Schwester: „Ein
andermal, gelt, da thust du mir die Liebe und stellst
mir die Filzpantoffel» eiu bissel warm. Wenn man
so den ganzen Tag im Laden steht, kriegt man kalte
Füße. — Ja, ja, man hat's recht schwer."
Tante Hedwig schämte sich ihrer Pflichtvergessenheit,
wurde aber sofort mit den Worten getröstet: „Na,
das kannst du doch natürlich nicht wissen, wenn du
behaglich im Zimmer sitzst, wie es meinen Füßen hinter
dem Ladentisch zu Mute ist. Aber ich leiste ja für
das Geschäft und für die Familie gern alles, was ich
kann. Also morgen bekomme ich warme Pantoffeln,
nicht wahr, liebe Hedi? Man arbeitet doch noch ein-
mal so gern, wenn man weiß, daß man zu Hause
wenigstens etwas aufmerksam versorgt wird. Eine
Fnßbank stellst du mir vielleicht noch an meinen Platz
und reichst mir mal das Kölnische Wasser. Ich will
mir die Schläfen etwas einreiben."
Meta, eiu frisches, den Backfischjahren noch nicht
lange entwachsenes Mädel, hatte sich möglichst elegant
neben ihrem Vater niedergelassen und rief nun in halb
damenhaftem, halb burschikosem Tone: „Na, geliebter
Vater, ob uns Tante Hedwig was Anständiges zu
futtern vorsetzt?"
Hans hatte sein Klavierspiel natürlich unterbrochen
und die Eintretenden mit Gruß und Händedruck
empfangen. Als er aber »eben seiner Schwester Platz
nehmen wollte, sagte die Mutter:
„Du könntest doch deine Uebung wenigstens zu Ende
spielen, mein guter Hans, ehe du dich zu Tisch setzest."
Vater Martin pflichtete erfreut bei: „Jawohl," das
war ein sehr hübscher Tanz. Laß uns nur auch
mal was von deiner Kunst hören. Deine Zeichnungen
und Malereien läßt du uns ja doch nicht sehen!"
„Ich habe sie euch wiederholt zu zeigen versucht,
lieber Vater. Aber sie gefallen euch allemal nicht."
„Es ist ja auch lauter Unsinn, was dn malst,"
fiel die Mutter ein, „oder sogar Unanständiges! Für

Illustrierte M e l t.

solchen verrückten Quatsch haben wir keine Zeit. Wir
haben ernste Arbeit im Kopfe."
„Es sind eben zum Teil Karikaturen, Mutter,"
verteidigte sich Hans, und der Vater fügte hinzu:
„Ich finde manches ganz ulkig."
„Aber was Hübsches oder Vernünftiges ist nicht
dabei," erwiderte die Mutter. „Jetzt mach deine
Klavierstudien fertig, damit wir zum Essen kommen."
Hans spielte gehorsam den „Traviata"-Walzer zu
Ende und ging zum Schluß in den neusten gerade
landläufigen Gassenhauer über. Der Vater empfand
darüber eine ehrliche. Meta eine boshafte Freude,
Tante Hedwig sand es recht unpassend, und die Mutter
Völkel merkte es gar nicht.
Das Abendbrot ging nun seinen gewöhnlichen Gang.
Der Vater lobte das Essen und bediente und versorgte
die Mutter dabei mit rührender Aufmerksamkeit. Diese
stieß einige freundliche Klagen aus, wenn eine Speise
zu scharf oder zu wenig gewürzt, das Brot zu dünn
geschnitten, oder das Bier zu kalt war. Hans aß
und trank schweigend, und Meta beklagte sich schmollend
darüber, daß einige Kunden sie wie ein gewöhnliches
Ladenmädchen behandelten. Auch zürnte sie über eines
ihrer Ladenfräulein, Namens Leonore, die sich mit
affigem Wesen immer vordrängte, wenn es einen jungen
Herrn zu bedienen gab. Mutter Völkel versprach, den
Diensteifer der gefallsüchtigen Person am andern Mor-
gen auf das gehörige Maß herunterzudrückcn.
Fräulein Leonore war eines der beiden Mädchen,
die zur Bedienung in den zwei mit dem Laden ver-
bundenen Kaffeezimmern gehalten wurden, und sie
wäre mit ihrem liebenswürdigen, wenn auch etwas
herausfordernden Wesen wohl geeignet gewesen, eine
ganze Schar junger Lebemänner zu Stammgästen in
Völkels Kaffeehaus zu erziehen, wenn Völkels nicht
auf das Nachtgeschäft vollständig verzichtet und jeden
Abend zugleich mit dem Laden auch die Kaffeewirtschast
zugemacht hätten.
Die üblichen Nachtschwärmer der großen Welt
fehlten daher bei ihnen; für um so seiner aber galt
das Lokal, und um so vornehmer war die Gesellschaft
der Leute, die bei Hofmundbäckers verkehrten, nicht
nur als kaufende Kunden am Schiebfensterchen des
Bäckerladens, sondern auch als regelmäßige Kaffeegäste.
Sogar eine wirkliche Gräfin war dabei, die Mutter
des Hoftheaterintendanten Grafen von Meerbach.
Frau Völkel hatte den Stammplatz dieser vor-
nehmen Dame unmittelbar an das große Fenster zu
legen gewußt, damit alle Welt von der Straße aus
sie um ihren vornehmen Besuch beneiden und bewun-
dern könnte. Sie schützte nämlich diese ihr täglich
wiederkehrende Ehre einem persönlichen Besuche voll-
ständig gleich und erzählte jedem, der es hören wollte,
daß die Gräfin von Meerbach in ihrem Hause verkehre.
Das Abendbrot war zu Ende. Frau Völkel warf
zunächst noch einen prüfenden Blick auf ihren Gatten
und dann ans Hans und fragte schließlich: „Also,
Martin, wie wollen wir es denn nun halten? Wollen
wir uns für die kurze Zeit eine bezahlte Aushilfe ins
Geschäft nehmen, oder wollen wir es auf die paar Tage
noch mal mit Hans versuchen?"
Hans war über diese Worte aufs höchste über-
rascht, aber auch Vater Martin schien sich ein wenig
zu wundern und entgegnete, wenn auch etwas unsicheren
Tones: „Liebe Lina, wir hatten doch wohl schon aus-
gemacht, daß wir für die paar Wochen einen Schreiber-
nehmen wollten."
„Gewiß," antwortete die Gattin, „aber nicht wahr,
mein guter Hans, du hättest doch ganz gern mal
eine Gelegenheit, dich wieder nützlich im Geschäft zu
machen?"
„Nee, liebe Eltern, nach dem Geschäft sehne ich
mich durchaus nicht. Ich habe mich nie wohl darin
gefühlt und bin jetzt bei der Malerei viel glücklicher.
Wenn es sich aber sogar nur um ganz gewöhnliche
Schreiberarbeit jetzt während der Festzeit handelt, da
gebt doch ruhig die paar Mark für einen Zungen
Mann aus, der euch die Arbeit wahrhaftig besser-
liefern wird als ich."
„Jawohl, mein liebes Kind," versetzte die Mutter in
zwar gereiztem, aber doch außerordentlich sanftem
Ton, „immer neue Leute bezahlen und das Geld zum
Fenster Hinauswersen!"
„Aber Mutter, wenn der Mann für seine Bezah-
lung arbeitet, ist das Geld doch nicht zum Fenster
hinausgeworsen."
„Natürlich, mein guter Hans! Aber woher das
Geld kommt, danach fragst du nicht. Und wenn du
dich jetzt in der schweren Zeit im Geschäft einmal ein
bissel mit anstrengen wolltest, da wäre das viele Geld,
das wir immer für dich bezahlen, eben auch nicht zum
Fenster hinausgeworfen."
„Vielleicht gerade doch, Mutter! Denn wenn ich
im Geschäft arbeite, lausen die Kosten, die ihr für
meine Ausbildung aus der Akademie zu bezahlen habt,
weiter, ohne daß ich einen Nutzen davon ziehe. Das
hieße doch denn das Geld recht eigentlich zum Fenster
hinauswerfen!"

Frau Völkel lächelte mütterlich überlegen: „Thu
doch nicht so, mein guter Hans, als ob du so sehr viel
- und so sehr Wichtiges versäumtest, wenn du mal ein
Paar Tage im Geschäft sitzest. Schaden wird es dir
keinesfalls etwas." Dann wendete sie sich an Tante
Hedwig und fuhr höhnisch fort: „Der Junge spielt sich
wahrhaftig auf, als ob seine Klexereien mehr wert
wären, als unsre ernste Arbeit im Geschäft."
„Sie sind mir auch mehr wert, und sie sind mir
vor allem lieber!" warf Hans gereizt eiu.
„Natürlich!" spottete die Mutter, die der Vater
vergeblich zurückzuhatten suchte. „Lieber ist dir die
Farbenklexerei, weil sie bequemer ist. Was thust du
denn den ganzen Tag? Wenn du deine paar Stun-
den gehabt hast und nicht gerade in einer Kneipe
sitzst, lungerst du doch bloß zu Hause herum, spielst
etwas Klavier und liest ein paar Bücher! Ist das
Arbeit?"
Hans war blaß vor Erregung geworden, entgegnete
aber ganz ruhig: „Verzeih, liebe Mutter, das verstehst
du nicht. Und mit dein Herumlungern zu Hause soll
es nun bald ein Ende haben. Ich ziehe aus und
nehme mir ein möbliertes Zimmer, irgendwo, wo ich
nicht herumzuluugern brauche, sondern ungestört arbeiten
kann."
Die Mutter war sprachlos. Der Vater aber fragte
mit bekümmerter und erstaunter Miene: „Aber, mein
guter Junge, was redest du denn da? Was soll denn
das heißen? Wie kannst du nur von uns sortgehen
wollen? Aus deinem Elteruhause!"
„Andre junge Männer gehen auch aus dem Eltern-
hause, und in noch viel jüngeren Jahren, als ich!
Und es ist ihnen sehr nützlich und gesund! Als Student
ist man auch nicht zu Hause."
„Gewiß!" pflichtete der Vater bei. „Aber du hast
es doch nicht nötig, fortzngehen. Du kannst zu Hause
bleiben, hier bei uns, ohne deine Ausbildung auf der
Akademie dadurch zu stören!"
„Nein, Vater, es geht nicht anders. Ich — ich
muß aus dem Hause!"
„Warum?" fragte der Vater.
Hans sah ihm in die liebevollen besorgten Augen
und vermochte nicht gleich die Antwort zu finden.
„Hast wohl Angst, daß wir dich wieder ins Ge-
schäft nehmen?" fragte der Vater weiter. „Nein, nein.
Kannst ruhig sein. Es bleibt alles, wie's ist. Du
sollst ruhig iveiter malen und zeichnen. Das Mar-
ja vorhin nur Spaß von der Mutter. Nicht wahr?"
„Es war zwar kein Spaß, Martin," antwortete
diese. „Aber es war doch nur eine Frage. Wenn
du uud Hans nicht damit einverstanden seid, so ist die
Sache natürlich erledigt."
„Na also!" sagte der Vater herzlich. „Da bleibst
du eben hier, und die Sache ist abgemacht."
Hans atmete tief, sah ihn fest an nnd entgegnete
schließlich: „Ich wünsche mir's als einziges Weihnachts-
geschenk, daß ich allein wohnen darf."
Jetzt zuckte der Vater zusammen. Er schüttelte
betrübt den Kopf und fragte leise: „Es gefällt dir
nicht mehr in deinem Vaterhause?"
Hans vermochte den bekümmerten Blick seines Vaters
nicht zu ertragen. Er zwang sich zu einem heiteren
Tone und sagte:
„Warum nehmt ihr denn die Sache so tragisch?
Ich habe es euch doch schon ost geklagt, daß ich hier
bei dem schlechten Licht, das wir haben, unmöglich
etwas Vernünftiges arbeiten kann. Mir aber eigens
ein Atelier zu mieten, das wäre vorläufig noch ein
sehr kostspieliger und überflüssiger Luxus. Da kommen
wir also viel billiger und bequemer weg, wenn ich mir
irgendwo ein Helles Zimmer nach Norden hinaus nehme.
Nicht wahr?"
„Teuer genug wird's auch so," seufzte die Mutter.
Ter Vater sah ihn mißtrauisch au und fragte:
„Also eine bessere Arbeitsgelegenheit brauchst du? Und
du sagst, das ist dein höchster und einziger Weihnachts-
wunsch?"
„Für mich selbst wünsche ich mir weiter nichts," er-
widerte Hans herzlich. „Euch aber wünsche ich dringend,
daß ihr euch nicht nur jetzt zur Aushilfe einen Schreiber
nehmt, sondern überhaupt sür die Buchführung ständig
eine tüchtige jüngere Kraft einstellt. Die Arbeit wird
zu viel für euch, und wenn ich auch nichts vom Ge-
schäft verstehe und mich nicht darum kümmere, so merke
ich doch, daß ihr euch, und besonders die Mutter, weit
über eure Kräfte anstrengt. Junge Kaufleute giebt es
doch eine ganze Menge."
„Aber entweder taugen sie nichts," sagte die Mutier,
„oder sie sind zu anspruchsvoll uud dünken sich zu
vornehm sür einen Bäckerladen."
„Tas möchte ich bezweifeln. Der junge Krone-
mann zum Beispiel würde es sich, wie ich aus seinem
eigenen Mnnde weiß, zur Ehre schätzen, bei euch ein-
treten zu dürfen."
„Wie kommst du denn mit einem Mal ans den
jungen Kronemann?" fragte der Vater.
„Weil ich heute mit ihm darüber gesprochen habe."
„Ja, ich verstehe dich," warf die Mutter ein weuig
 
Annotationen