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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 1.1912

DOI issue:
I.5
DOI article:
Sperber, Hans: Über den Einfluß sexueller Momente auf Entstehung und Entwicklung der Sprache
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.42094#0429
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Über den sexuellen Ursprung der Sprache

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tiven Arbeitsmethoden so gut wie alle sexuell betont sind, wenn
sie alle ihrer Natur nach den Vergleich mit der Geschlechtstätigkeit
des Menschen teils ermöglichen, teils, wie etwa das Feuerbohren,
geradezu provozieren. Dies erklärt sich, wie ich glaube, nur dadurch,
daß die sexuelle Phantasie des Menschen schon bei der Gestaltung
dieser Arbeitsmethoden bestimmend mitwirkte. Ich lege mir den
Vorgang dabei etwa in folgender Art zurecht; von dem Augen-
blick an, wo der Mensch nicht mehr, wie die Tiere, eine Brunst^
zeit hatte, mußten die Fälle immer häufiger werden, in denen ein
Individuum durch das Fehlen eines andersgeschlechtigen Artgenossen
an der Befriedigung seines Geschlechtstriebes gehindert war. Die
Folge davon war, daß der Betroffene der in ihm aufgespeicherten
Energie auf anderem Wege Luft machen mußte. Er verfiel auf
allerlei Kraftäußerungen*, und zwar mußten naturgemäß solche
Tätigkeiten bevorzugt werden, die infolge irgend einer äußeren
Ähnlichkeit mit dem Geschlechtsakt besonders geeignet waren, als
Surrogate für denselben zu fungieren.
Dem kundigen Leser wird es nicht entgehen, daß ich hier ein
in jüngster Zeit heiß umstrittenes Gebiet betreten habe. Es ist ja
in letzter Zeit von verschiedenen Seiten, besonders von S. Freud
und seinen Schülern, mit großem Nachdruck betont, von anderen
mit ebenso großem Eifer bestritten worden, daß die höchsten Er-
rungenschaften des menschlichen Geistes, vor allem die Kunst, mit
derartigen unausgelebten sexuellen Impulsen in außerordentlich nahem
Zusammenhang stehen**.
Ich kann mir natürlich eine Entscheidung in dieser ungeheuer
komplizierten Frage nicht anmaßen. Für meine Zwecke genügt es aber,
zu konstatieren, daß wir von vornherein dem Sexualtrieb eine
wichtige Rolle in der Entwicklung des menschlichen Seelenlebens Zu-
trauen müssen, und zwar eine umso größere, je mehr wir uns den
Ursprüngen der menschlichen Kultur nähern, je weniger wir also
mit den sogenannten höheren Instinkten rechnen dürfen. Überhaupt
ist, soviel ich sehe, noch von niemandem das sexuelle Element zum
Beispiel in der Kunst geleugnet worden, nur über seine größere
oder geringere Wichtigkeit wird diskutiert. Es scheint mir daher
nur konsequent, einem Trieb, der alle Gebiete des menschlichen
Lebens beeinflußt hat, auch betreffs der Bildung der Sprache die
ihm gebührende Stelle anzuweisen.
Eine andere Schwierigkeit, die aber nicht die Richtigkeit, son-
dern nur die Überzeugungskraft meines Gedankenganges beein-
Auch heute noch spielt körperliche Arbeit als Surrogat des Geschlechts*
akts eine große Rolle/ das wissen z. B. all die Pädagogen und Ärzte, die Sport
und Slöjd als erfolgreiches Mittel gegen das unzeitgemäße Erwachen des Geschlechts*
triebes empfehlen.
** Die Literatur über diese Frage findet man im ersten Hefte dieser Zeit*
schrift zusammengestellt.
 
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