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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 6.1920

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Felszeghy, Béla: Pan und Pan-Komplex
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https://doi.org/10.11588/diglit.25677#0028
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Dr. Bela v. Felszeghy

reiche Berührung mit der Außenwelt1. Auf diese erste katastrophale
Ersdhütterung reagieren wir mit Zeichen eines stürmischen reflektori-
sehen Unbehagens, mit der ersten, gleich ins Unbewußte versenkten
»Panik«, und flüchten schließlich aus der dem Bewußtsein unerträg-
lichen Lage auf seelischen Wegen, in halluzinatorischer Weise in
den ersten wohltätigen Schlaf nach der Geburt. Und dieser Traum
bringt uns in der Phantasie alles wieder, was wir in der Wirklich^
keit auf immer verloren haben1 2.

Also das Kataldisma der Geburt, das ein ewig undurdileudit-
bares Skotom in unserer gesamten Bewußtseinserinnerung bleibt, ist
unsere erste Panik. Dieses unser seelisch^körperliches Zuriidk-
schrecken vor der Realität vibriert im Innern aller späteren Panik-
reflexe sicherlich noch weiter.

Und diese Urspur können wir in dem im Pan-Mythus ver-
borgenen Panikkomplexe noch heute erkennen. Trotz aller Ver-
schleierung werden diese Spuren durch ein Symbol des Mythus
und ein Inhaltsdetail des Pan-Begriffes verraten, Auf den symbo-
lischen Sinn der Höhle und des Höhlenmundes braucht der Psycho-
analytiker nicht besonders verwiesen zu werden. Auch die moderne
bildende Kunst (z. B. Böcldin auf dem Bilde »Pan und der Hirt«)
stellt Pan meistens aus der Grotte auftauchend dar oder vor der
Grotte liegend, also nach überstandener Geburt. Auf einem Relief
des lateranischen Museums tränkt die Nymphe ihn und seinen Bruder
Arkas mit dem Lebenswasser,- im Hintergrund auf dem Baume <des
Lebens) junge Vögel im Nest. Auch hier tritt Pan aus der Grotte
heraus. Pan ist also in der mythischen Versponnenheit, der aus der
Höhle Herauskriechende und der sich in der Höhle Verkriechende, der
in die Höhle Flüchtende, der Höhlenbewohner3. Vor Hitze und vor
Gewitter flüchtet er hin und schläft dort. Die berühmtesten parnassi-
sehen und korykischen Höhlen waren ihm geweiht und heute noch
flüchten die Hirten hin. Das arkadische Lykaion ist das advsLov.
Dort kann er, geschützt, geborgen träumen und sich im zarten Mond-
schein der Erinnerung mit seiner Geliebten vereinigen, mit Selene,
der Weltenmutter4.

1 Diese Deutungen stützen sich auf individualpsychologische Ergebnisse der
Psychoanalyse und erfahren gewissermaßen nur eine Ergänzung durch den mythi-
schen Stoff der Völkerpsyche. Von der psychoanalytischen Literatur ist für das
Verständnis der obigen wie der folgenden Ausführungen besonders die Kenntnis
des tiefschürfenden, große Zusammenhänge erfassenden, vorzüglichen Aufsatzes
von Ferenczi über »Die Entwidklungsstufen des Realitätssinnes« (Internationale
Zeitschrift für ärztliche Psychoanalyse) erforderlich. Auch Freud bezeichnet die
Geburt als die erste große Erschütterung.

2 Vgl. Ferenczi a. a. O.

3 Siehe detailliert bei Wernicke a. a. O.

* Über Pans Liebe zur Weltenmutter, zum Mond handelt ausführlich H. W.
Roscher. Über Selene und Verwandtes (Leipzig 1890). Daß die Mondmutter
unser aller Mutter ist, das ist durch Tausende von Aberglauben, Volksgebräuchen
bis heute erhalten. Der alte unbewußte Inzestwunsch läßt die Völkerphantasie
auch heute zum Monde steigen. Und unzähligen Daten Roschers kann diese Wunsch?
 
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