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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 9.1923

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Heft 1
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Róheim, Géza: Nach dem Tode des Urvaters
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https://doi.org/10.11588/diglit.28544#0096
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Es ist als ob die Primitiven sagen wollten: nicht wir, die Überleben-
den, freuen uns, daß wir ihn losgeworden sind, im Gegenteil, wir sind
betrübt und trauern, doch merkwürdigerweise hat er sich jetzt in
einen bösen Geist verwandelt, dem es eine Wonne ist, uns leiden zu
sehen und der uns nach dem Leben trachtetk Die Erinnyen plagen
aber in erster Reihe diejenigen, die sich gegen die moralischen Gebote
der Kinderpflicht vergangen haben^ und dies ist auch der allgemeine
Ursprung der gefürchteten Totengeister. In vielen Riten wird nun
die ursprüngliche Aggressivität dem Toten gegenüber manifest, die
Leiche wird verprügelt, mit einem Pfahl durchstochen, verstümmelt
oder festgebunden, der Geist durch kriegerische Demonstrationen ver-
trieben^. Daher können wir den Sinn der Wunden, die sich die Trauern-
den beibringen, leicht als eine Wendung gegen die eigene Person ver-
stehen; so wie kein Neurotiker Selbstmordimpulse verspürt, der nicht
schon einmal einen anderen Menschen töten wollte (Freud), können
wir auch sagen: nach dem Tode tötet sich der Primitive, weil er sich
unbewußt schuldig fühlt. Die richtige Deutung wurde schon von
Lambert ausgesprochen, der in diesen Riten symbolische Selbstmord-
versuche erblickt k So wie nun manches Kind, das tatsächlich keine
Gelegenheit gehabt hat, den Coitus der Eltern zu belauschen, das
betreffende Material fertig geformt aus der Phylogenese mitbringt,
müssen es bei dem Primitiven nicht unbedingt rezente Anlässe sein,
verdrängte Todes wünsche gegen den Dahingeschiedenen, auf denen
sich der Ritus auf baut; selbst wenn er solche überhaupt nicht gehabt
hätte, würde er ein ererbtes Schuldgefühl im Ritus abreagieren; ihn
plagt der blutlechzende Geist unzähliger erschlagener Väter, deren
Tod er verschuldet und nun an seinem eigenen Körper wiederholend
büßt. Wie entstand aber dieser Mechanismus der Wendung gegen
die eigene Person? Allerdings läßt sich dieses Problem heute anders

1) S. Freud: Totem und Tabu. 1915. 58.
2) Rapp: Erinys. Roschers Lexikon. I. 1321.
g) Siehe hierüber die bekannten Werke von Taylor, Spencer, Lippe rt usw.
4) Lambert: Revue des Etudes Juives. LXXII. 1921. 98.
 
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