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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 10.1924

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Heft 4
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Hermann, Imre: Benvenuto Cellinis dichterische Periode
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https://doi.org/10.11588/diglit.36527#0432
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4-20

Dr. Imre Hermann

konnte sich auch sonst über Mangel an mächtigen, auch mit Tod be-
drohenden, aufregenden Erlebnissen, Vorfällen, lebensbedrohenden Krank-
heiten nicht beklagen. Sein Narzißmus, den man vielleicht heranziehen
möchte, war schon früher und auch später ziemlich hoch gespannt; wollen
wir uns nicht nur mit quantitativen Veränderungen begnügen, dann
müssen wir den Hinweis auf die Mächtigkeit des Erlebnisses, auf den
Narzißmus, der möglicherweise im Kerker noch gesteigert wurde, fallen
lassen. Die Unmöglichkeit der gewohnten Leistung der Hand, der Modellier-
arbeit zwang den schwerverletzten Künstler, diese Betätigungsart auf das
Mindestmaß einzuschränken oder überhaupt aufzugeben. Aber weshalb
blieb er nicht beim sonst so beliebten Zeichnen? Die von ihm im Kerker
von Mörtel und Wasser zubereitete Tinte konnte wohl auch ebenso gut
(respektive ebenso schlecht) wie zum Schreiben — er schrieb seine Ge-
dichte auf -— auch zum Zeichnen (seiner Visionen) benützt werden. Wäre
es vielleicht die Finsternis allein, durch welche die neue Leistung her-
vorgelockt wurde? Gewiß, die Finsternis hat Anteil an seiner dichterischen
Leistung, doch ist dieser Anteil nicht so direkt, wie man es denken könnte,
eine lenkende Kraft für die Betätigung. Die psychoanalytische Denkweise
verlangt, daß wir nicht die Mächtigkeit des Erlebnisses allein, oder einen
herausgegriffenen Moment direkt, ohne einen Sinn angeben zu können,
zur Erklärung heranziehen, sondern die gesamte psychische Situation muß
sinnvoll gewirkt haben.
Cellini sah sich im Kerker dem Tode sehr nahe, nicht nur wegen der
möglichen Verurteilung zum Tode, sondern wegen der speziellen Situation
des Lebendigbegrabenseins, worauf sich eben die Stimmung des schon
genannten Traumzustandes bezieht. Er dachte an Selbstmord, doch — ein
höheres Wesen, eine unsichtbare Kraft stellte sich ihm zu Diensten, dieses
Wesen, sein Schutzgeist, wahrsagte ihm und die Prophezeiungen bewahr-
heiteten sich sogleich. Es äußert sich darin der Wunsch des Lebendig-
begrabenen, geliebt zu werden, nicht verlassen, nicht einsam da ver-
schmachten zu müssen. Durch diese Liebe kam er in Gottes Nähe, woher
er dann die Fähigkeit zum Prophezeien erhielt. Er glaubte an seine
seherische Begabung, denn er mußte an seine Befreiung
glauben, und war es der Papst, der ihm im Wege stand, so mußte er
Schutz von noch höher, vom Himmel aus bekommen.
Die Stummheit, die ihm durch das Kerkerleben aufgezwungen war, die
Unmöglichkeit der Modellierarbeit der Hand, vielleicht auch die para-
noide— doch auch verständliche — Furcht gerade vor einer Vergiftung
 
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