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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 13.1902

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Schmidkunz, Hans: Dekorations-Kunst und Täuschung
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https://doi.org/10.11588/diglit.6713#0233
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INNENDEKORATION

MEIN'HEfM-

ttEIN-STOLZ

XIII. SHHRGflllG.

DcirmNcidf 1902.

sepcemBeR-HEFT.

Dekorafions*KunH und Cäuichung.

Wenn ein Mensch höher und schlanker erscheinen
will, als er thatsächlich ist, so kann er dies
dadurch erreichen, dass er ein Gewand mit auffälligen
Längsstreifen trägt. Will er hingegen kleiner und
voller erscheinen, als er in Wirklichkeit ist, so wird
er ebenso Querstreifen bevorzugen. Will der archi-
tektonische Geist eines Volkes seinen Gebäuden den
Ausdruck des Himmelan-Strebenden geben, so wird
er in ihnen die Höhen-Richtungen betonen. Man
kennt diesen Karakter der französischen und deutschen
Gotik. Man weiss aber auch, dass in manchen
Ländern diese Höhen-Richtung einer Betonung des
Horizontalen weicht, z. B. in Italien; ein Ausdruck
anderer als himmelan-Strebender Denkweise.

Bei der Ausstattung unserer Wohn- und Ver-
sammlungs-Räume können uns solche Erfahrungen
vielfache künstlerische Effekte eingeben. Wollen
wir unsern Raum höher erscheinen lassen, so wird
es sich uns empfehlen, das Tapetenmuster in lot-
rechter Richtung gestreift zu halten. Soll der
Raum breiter erscheinen, so wird sich ebenso ein
Hervortreten wagrechter Linien im Tapetenmuster
empfehlen. — Wenn wir in einer Landschaft über
eine gleichmässige, leere Strecke schauen, so er-
scheint uns eine weite Entfernung leicht als gering.
Ist dagegen eine solche Strecke ausgefüllt, namentlich
mit verschiedenartigen Gegenständen, so geraten

wir ebenso leicht in eineUeberschätzung der Strecke.
Diese Erfahrung, dass also eine gleichlange Strecke
unterschätzt wird, wenn sie leer ist, und überschätzt
wird, wenn sie reichlich ausgefüllt ist, verwendet
nun auch der Dekorations-Künstler. Er versteht
es, kleine Dimensionen durch eine geschickte Aus-
füllung grösser erscheinen zu lassen. In der Kunst
der Barocke, die ganz besonders auf mächtige Raum-
Wirkungen ausging, wurde dieses Täuschungs-Mittel
oft in grossartiger Weise angewendet. Man sehe
z. B. den Eindruck, den man hat, wenn man durch
das Portal eines Palastes der Barockzeit in dessen
Hof hineinblickt: mehrere Portale oder portalartige
Wölbungen schieben sich hintereinander und geben
dadurch dem Beschauer den Eindruck einer gewaltigen
Entfernung des Hofes und Weite des Eingangs.
Unsere Zeit hat mit der teilweisen Wiederaufnahme
der Barocke auch solche Wirkungen verwertet.
Dazu kommt aber noch besonders die Forderung
unserer Zeit, mit dem teueren Raum zu sparen und
trotzdem prunkvolle, selbst protzige Effekte zu er-
zielen. Die pompösen Ausstattungen großstädtischer
Restaurations-Räume zeigen eine oft bewunderungs-
würdige Kunst, die engsten Winkel durch Säulen,
Bogen, entsprechende Malereien, Spiegel u. s. w.
scheinbar zu vergrössern. Dass dies manchmal bis
zu abstossender Ueberladung geht, ändert an diesen

1902. IX. 1.
 
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