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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 15.1904

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Jaumann, Anton: Die Ästhetik des Raumes, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11377#0249
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INNEN - DEKORATION.

Jeder kleinste Raum ist ein Teil des unend-
lichen. Auf allen Seiten reicht ihm die Unendlich-
keit die Hände; sie steht mit ihren heiligen Schauern
hinter ihm, aber nur für das Auge dessen, der die
kalten, toten Begriffe der Mathematik mit warmer
Künstlerkraft zu umfangen und zum Leben zu rufen
versteht. Auf der andern Seite wird aber auch
sein eigenes Leben gesteigert durch die Anschauung
des Raumes. Er wächst mit der Grösse und ist
bescheiden mit dem Kleinen; die Ausdehnung weitet
seine Brust und entfaltet die Knospe seines Wesens;
mit gebreiteten Armen spannt er Distanzen von
Punkt zu Punkt. Er lässt sich durch die Lüfte
tragen von Hier zu Dort, und das eine Ich verviel-
fältigt sich tausendfach im Sein an tausend Orten.
Wie reizvoll das Wandern von Punkt zu Punkt,
bedächtiges Ruhen, schneller Flug und gemütliche
Langsamkeit! Wir greifen die Nähe und grüssen
die winkende Ferne. Diese Mannigfaltigkeit in
der Lage der Punkte zu einander, diese unerschöpf-
liche Neuheit der stereometrischen Gebilde! Wie
die grossen und kleinen Teile des Raumes zu-
sammenwohnen, hier Klein neben Klein und Gross
neben Gross, dort eine Gruppe von Winzigkeiten
neben einer Grösse, oder anderswo die Kleinen um-
schlossen von Grossen! Richtungen schiessen wie
Strahlen von Punkten zu Punkten und kreuzen sich
wie blanke Klingen im Waffen gang. Die Wen-
dungen der

ANTON HUBER—CHARLOTTEN BURG. Einzel-Möbel aus dem

Wohn- u. Speise-Zimmer für die Weltausstellung St. Louis igo4.

Ausführung: Hof-Möbelfabrik C. Prächtel—Berlin.

Linien, die

Neigungen der Flächen zu einander, das Auf und Ab des Niveaus
—1 unerschöpflich sind die Register dieses Instrumentes, des
Raumes. Oder ist er gleich ein kraft- und lebenbegabtes Wesen?

Sintemalen er fortwährend sich dehnt und streckt und hinaus
will in alle Weiten, und doch wiederum sich zusammenzieht
in sich selbst, wie unter der Wirkung eines magnetischen Zentrums.
Die Sehnsucht nach Auflösung wohnt in ihm neben dem Trotz
der Selbsterhaltung und des Sichbehauptenwollens gegen die

Lockungen der Ferne. Der
grosse Raum lastet mit Wucht
an seinem Ort und schiebt alles
Kleinere beiseite. Und durch
den gegenseitigen Druck aller
Teilräume hält sich der allum-
fassende, der unendliche Welten-
raum. — Nach den Ansichten
der Naturforscher haben wir uns
die Weltkörper entstanden zu
denken durch die allmähliche An-
ziehung der zuerst zahllos und
ungeordnet im All sich bewegen-
den Atome an gewisse Schwer-
punkte, die zu Sammelstellen
wurden. ^Schluss im November-Heft.)
 
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