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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 18.1907

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Jaumann, Anton: Die Farbe im modernen Wohnraum
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https://doi.org/10.11588/diglit.7501#0169
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INNEN-DEKORATION

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FRIEDRICH FLEISCHMANN—MÜNCHEN.

Entwürfe zu Möbeln.

der beschriebenen Art ohne Stilverstoß hausen können.
Doch die Künstler hätten vermutlich selbst an diesem
Volk als Inhaber ihrer Schöpfungen nicht viel Gefallen
gefunden. —

Die neuesten Räume nun sind nicht etwa farblos;
wer »Dresden« sah, wird das bezeugen können. Aber
ihre Farbenstimmung ist eine andere geworden, sie drängt
sich nicht mehr so unbescheiden auf, sie mischt sich
nicht mehr in das Gespräch, sie will nicht mehr »unser
ganzes Denken und Fühlen beherrschen«. Wir fühlen
uns freier darin. Doch sind diese Farben beileibe nicht
unwirksam, nicht tot. Man spürt ihre Nähe, ihren
lebendigen Atem, sie bilden kräftige Faktoren der Raum-
stimmung, doch — sie lassen auch uns zu Worte kommen.
Sie haben Disziplin, sie ordnen sich unter.

Die Farben des Wohnraums, wie er sich heute aus-
gebildet hat, sind Farben des Hintergrunds. Sie lassen
dem Menschen die erste Rolle, sie dienen dem Leben,
das sie rahmen und tragen, und verschiedene Stimmungen,
Charaktere, Lebenshaltungen finden in ihnen eine bereit-
willige Resonanz und Frgänzung. In den neuen Räumen
kann man sich wieder natürlich geben.

Doch auch die Farben selbst muten uns natürlicher
an. Natürliche Farben? Sind das vielleicht nur die
Farben des ungefärbten Gegenstandes, die unveränderten
Farben des rohen Steins, des rohen Holzes, der rohen
Textilstoffe ? Diese werden ja vom modernen Raum-
künstler immer häufiger benützt: Rohleinen oder -rupfen
nimmt er zur Bespannung von Wänden und Polstern,
aus gehämmertem Eisen fertigt er die Beleuchtungskörper
und Beschläge, mit roten Ziegelsteinen umgibt er den
Kamin und seine Möbel baut er oft genug aus unge-
heizten Hölzern. Die Vorliebe für das Ungeheizte, Un-
gefärbte scheint sogar, wenn nicht alle Zeichen trügen,
in nächster Zeit noch intensiver zuzunehmen.

Aber ganz davon abgesehen, möchte man auch bei
den gebeizten und gefärbten Gegenständen die Farben
jetzt natürlicher nennen. Namentlich unter den Holz-
beizen gibt es zwei deutlich unterscheidbare Arten:
Eigentliche Holzbeizen, die sich mit der Natur, dem
Charakter des Holzes gut vertragen, und andere, die
das nicht tun, die darum auf dem Holz unnatürlich
und fremd wirken. Mit dem Anstrich verhält es sich
ähnlich: Weiß ist z. B. keine Holzfarbe (kein Holz ist
rein weiß), aber für den Anstrich eignet sie sich vorzüg-
lich , ebenso etwa mattes Blau usw. In Textilstoffen
wäre technisch fast jede Farbe ausführbar. Aber die
grellfarbigen modernen Teppiche verschwinden auffallend
rasch von der Bildfläche und machen solchen mit spezi-
fischen Teppichfarben Platz. So geht es bei Portieren,
Decken, Beziigen. Selbst Tapeten sehen wir von diesem
Zug ergriffen. Sie waren bis vor kurzem noch schlechthin
Ornaraentmalereien. Niemand dachte daran, daß es
hier wohl so was wie »natürliche Tapetenfarben« geben
könne. Da kam die Mode der Unipapiere und besonders
der Ingrainpapiere. Papieringrain ist etwas, das den
Papiercharakter geradezu klassisch zum Ausdruck bringt.
Es zeigt gewissermaßen noch das Gemisch, aus dem das
Papier entsteht. Die kleinen, diskreten Effektmusterungen,
die ebenfalls zur Zeit sehr beliebt sind, lehnen sich in
ihrem Charakter mehr oder minder enge an Ingrain an,
oder erinnern auch an die faserige Konsistenz japanischen
Reispapiers. Neuerdings sieht man sogar öfter rohe
Papiertöne in braun und grau, die nur sparsam mit
Punkten, Strichen oder kleinen Ornamentchen belebt sind.

Es ist klar, was die Farbengebung der neuesten Wohn-
kunst auszeichnet. Ich meine, wir können die Abkehr
vom Gewaltsamen, Gemachten, Geschminkten zum Natür-
lichen, Unaufdringlichen, die sich darin dokumentiert, nur
mit Freuden begrüßen. Dieser Weg führt zur Gesundung.
 
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