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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 18.1907

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Breuer, Robert: Schönheit und Zweckmässigkeit: Eine Skizzierung des Problems
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https://doi.org/10.11588/diglit.7501#0170

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SCHÖNHEIT UND ZWECKMÄSSIGKEIT.

EINE SKIZZIERUNG DES PROBLEMS. VON ROBERT BREUER.

Es scheint ein Wiß der Geschichte zu sein, dag gerade
die Zeiten künstlerischer Barbarei besonders hohe Be-
griffe von der Schönheit prägen. In jenen, eben erst über-
wundenen Jahren, da die Kunstgegenstände die Kunst ab-
gelöst hatten, wäre es ein arger Frevel gewesen, Schönheit
und Zweckmäßigkeit in eine Gleichung zu binden. Wie den
Göttern, gab man der Schönheit absolute Giltigkeit, während
die Zweckmäßigkeit ständigem Wechsel unterworfen schien.
Die altdeutschen Humpen, das Makartbukett, die Muschel-
möbel, der repräsentative Renaissancebau, die mit Episoden
vollgepackten Bilder — das war die ewige Schönheit; die
Maschine aber bedeutete den Tod jeder Poesie. — Wir
haben umgelernt. Die Schönheit einer Skulptur oder eines
Gemäldes liegt für uns nicht zum wenigsten in der knappen
Formel, auf die das dargestellte Stück Natur gebracht wurde,
d. h.: in der für die Darstellung zweckmäßigsten, weil das
Objekt am klarsten erfassenden und es der Formung am
leichtesten zugänglich machenden Vorstellung. Ein zweites
Kriterium der Schönheit ist die Wahl des für die Realisierung
dieser Vorstellung best geeigneten Materials und die Methode,
nach der dies Material gebändigt wurde. Zur Schönheit
eines Gebrauchsgegenstandes gehört außerdem, daß er eine
bestimmte Aufgabe klar und entschieden erfüllt. So ist für
uns die Schönheit abhängig von einem Zusammenströmen
vielfacher Zweckmäßigkeit. Indessen, man dürfte diese
teleologische Ästhetik engbrüstig und positivistisch ver-
bohrt nennen, wollte sie hierbei stehen bleiben. Die Schön-
heit eines Kunstwerkes ist nicht nur Resultat
zweckmäßiger Operationen der Apperception
und der Gestaltungskraft; das eigentlich Künst-
lerische im Kunstwerk dient einer höheren
Zweckmäßigkeit. Dieser Saß kann leicht mißverstanden
werden; etwa so, daß jedes Kunstwerk einem moralischen
Zwecke zu dienen habe. Nichts wäre verkehrter, als dieser
Art das Kunstwerk einem didaktisch-sentimentalen Zwange
zu unterstellen. Das Kunstwerk bleibt ein aus Anschauung,
Aufgabe und Technik zweckmäßig erwachsener Organismus;
aber gerade darum gehört es blutverwandt zu dem Gesamt-
organismus der psychischen Welt, deren Leben darin be-
steht, daß selbständige Einzelglieder sich gegenseitig be-
dingen und untereinander Kräfte austauschen. Entstehend,
unterliegt das Kunstwerk eignen, immanenten Geseßen;
geworden, hat es als Mikrokosmos im Kosmos eine Funktion
zu erfüllen. Wie alles geistige Geschehen, alle Philosophie
und Religion (im leßten Sinne auch Pessimismus und Fata-
lismus) zur Erhöhung der Lebensenergie und Beflügelung
des Willens dient, so läßt auch das Kunstwerk und seine
Schönheit den Menschen sich höher recken. Schönheit
wirkt Befreiung von Erdenschwere. Das ist der
leßte Zweck aller gemalten und aller gemeißelten Kunst,
daß wir rückhaltloser uns mit der Erde und ihrem Weben
verbunden fühlen, uns an die Welt verlieren und doch
ein Herr über sie sind. Wer unentwegt, sobald er
nur die Lider öffnet, von tausendfältiger Herrlichkeit ge-
segnet wird, der spottet aller Niederungen des Alltages
und schreitet auf den Höhen; der entwächst dem perfiden
Egoismus des rohen Nußens, dankbaren Gemütes übt er
Freundlichkeit an den Brüdern, auch aus des Lebens
Bitternis saugt er ein wenig Süße — der Mechanismus des
Daseins wandelt sich zu einer rhythmischen Melodie. „Die
Kunst ist eine Funktion des sozialen Organismus, welche

die höchste Bedeutung für seine Erhaltung wie für seine
weitere Entwicklung besißt" (Guyau).

* *

Die Schönheit ist kein absoluter Wert, vielmehr die
subjektiv Geltung habende Urteilsform des ästhethischen
Verhaltens. Über die Objekte, die dem ästhethischen
Verhalten zugänglich werden, entscheiden als erste Instanz:
die Sinne. Das Sinnlich-Angenehme wird am ehesten zur
Schönheit eingehen können. Das Sinnlich-Angenehme ist
aber prinzipiell das für die Lebenshaltung Zweckmäßige.
Die Zunge liebt die bekömmlichen, sie verabscheut die in
Verwesung übergegangenen Speisen. Nichts könnte uns
hindern, auch den optischen und akustischen Sinn dieser
darwinistisch gedachten Entwicklung unterworfen sein zu
lassen. Wenn wir auch keineswegs übersehen, daß die
komplizierten Veränderungen der Kultur mannigfache Ein-
schränkungen fordern, so dürfen wir doch die Gleichung
seßen: sinnlich-angenehm zweckmäßig = schön. Dabei
ist es zunächst gleichgiltig, ob von Objekten der Natur
oder der Kunst gesprochen wird, ob von einer Frau oder
von einem Stuhl. — Die Frau, deren sekundäre Geschlechts-
merkmale besonders gut ausgebildet sind, die darum für
die Regeneration zweckmäßig vorbereitet ist, empfinden wir
als besonders zur Schönheit bestimmt. Der Stuhl, der uns
zum niedersißen einladet, der uns beim Sißen einen ange-
nehmen Tastreiz und genügend Bequemlichkeit gewährt, ist
zweckmäßig und empfiehlt sich dadurch mit besonderem
Nachdruck dem ästhetischen Urteil. Frau wie Stuhl wer-
den für uns definitiv schön sein, wenn die Zweckmäßigkeit
wohl proportioniert dargestellt ist, rhythmisch, in ein edles
Gefäß gefaßt, nach einer Art, die uns nicht stört, noch ver-
wirrt, vielmehr fröhlich und glücklich macht. Das ist aber
wiederum die höhere Zweckmäßigkeit der Schönheit eines

zweckmäßigen Gebildes.

* *

Ist Schönheit ein Naturgeseß oder ein Phänomen des
Geisteslebens? - Bei vielen Tieren übt das Weibchen ge-
schlechtliche Auslese; vergleichen wir das angenommene
Exemplar mit den abgewiesenen Freiern, so finden wir, daß
das erstere nicht nur stärker, sondern auch schöner als die
leßteren ist. Wie kommt es, daß wir gerade das an dem
Tierkörper als schön empfinden, was dem Tiere selbst
sinnlich-angenehm sein muß, und was für bestimmte ani-
malische Lebensäußerungen äußerst zweckmäßig ist? Hat
das wählende Tierweibchen unbewußt den gleichen Maß-
stab für das Schöne wie der mit Bewußtsein begabte
Mensch? Warum finden wir die Gruppierung der Schuppen
eines Schmetterlingsflügels schön, warum einen Radiolarien-
panzer? Nach welchen Geseßen bildeten sich diese Natur-
produkte? Walten dieselben formgebenden Kräfte beim
Wachsen des Vogelkleides wie beim Weben eines Teppichs?
Ist alles Schöne in Natur und Kunst feinsten mathematischen,
mechanischen und chemischen Beziehungen unterworfen? —
Eine leßte, endgiltige Antwort vermögen wir auf alle diese
Fragen nicht zu geben; wir können nur feststellen, daß das,
was wir an Naturprodukten als besonders schön empfinden,
für diese Naturprodukte, für das Einzelindividuum oder für
die Art, äußerst zweckmäßig ist. Wir könnten weiter an-
nehmen, daß wir die Naturprodukte nur aus Gewöhnung
schön empfinden; dann hätten wir freilich übersehen, wie
just umgekehrt das abstrakte, bestimmte Konstruktionen
 
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