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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 18.1907

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Michel, Wilhelm: Der Geschmack des Publikums
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https://doi.org/10.11588/diglit.7501#0336

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322

INN EN-DEKORATION

ENTWURF : WELLERMANN UM) FRÖLICH—BREMEN.
AUSFÜHRUNG: SCHNEIDER & HANAU-FR AN KFURT A. M.

Der Geschmack des Publikums.

So oft Künstler und Gewerbetreibende sich zusammen-
finden, um darüber zu beraten, ob und wie den
besseren kunstgewerblichen Erzeugnissen der Weg ins
Volk zu bahnen sei, wiederholt sich eine Reihe typischer
Repliken. Zunächst stellen die Künstler ganz allgemein
ihre ideale Forderung auf: Wir haben das und jenes
als das Bessere erkannt. Folgen wir dieser Erkenntnis,
stellen wir unsere Produktion auf die kulturell richtige
(Grundlage und bringen wir das Neue, das Gute an das
Volk heran. Die Gewerbetreibenden erwidern: Wir
stehen auf Eurer Seite — aber nur mit unserm Herzen.
Ihr wollt das Gute, das Richtige, aber das Publikum
will das Schlechte, das Alte, und wir dürfen es nicht
wagen, mit Euch zu arbeiten, wenn wir uns nicht direkt
schädigen wollen. Das liebe Publikum hat einen
schlechten Geschmack. Mit ihm müssen wir rechnen,
ihn müssen wir bedienen. Wir sind nicht Reformatoren,
sondern Geschäftsleute, wir sind nicht Geschmacksrichter,

sondern Lieferanten und
Diener der Nachfrage. —
Darauf reden die Künstler
wieder von der Kultur,
vom Guten, Wahren und
Schönen, die Geschäftsleute
zucken die Achseln, und
man geht auseinander mit
dem Gefühl, neben einander
her geredet zu haben, ja
eine Sprache gesprochen
zu haben, die der andere
gar nicht verstanden hat.

Beide Teile sind mit
ihren Auffassungenim Recht.
Beide sündigen darin, daß
sie in ihrer Terminologie
nicht die richtigen Gegen-
sätze wählen. Es handelt sich
darum, ob mit spezieller
Beziehung auf den Ge-
schmack des Publikums
Idee und geschäftliches
Handeln Gegensätze sind
oder nicht. Es handelt sich
um die Frage: Ist der Ge-
schmack des Publikums so,
daß es unter allen Umstän-
den das Schlechte verlangt?
Künstler und Geschäftsleute
pflegen dieP'rage zu bejahen,
letztere sogar mit größerer
Inbrunst als erstere.

Mir scheint, daß dem
Publikum darin Unrecht
geschieht. Betrachtet man
die Schaufenster der ver-
schiedenen Branchen, als :
Galanteriewaren , Gold-
arbeiten,Papierwaren,Eisen-
waren , Möbel, Porzellan-
waren usw., so könnte es
in der Tat scheinen, als
hätten die Käufer ein merk-
würdiges und unbegreifliches Verlangen nach Scheußlich-
keiten , die das, was ihnen an Takt und Geschmack
fehlt, durch Mangel an Haltbarkeit ersetzen. Aber wir
müssen näher zusehen. Da bemerken wir neben aus-
gesprochen altmodischen Sachen, eine große Anzahl
von Arbeiten, die in verlegener und tölpelhafter Art
mit einem neueren Geschmacke liebäugeln. Sie sind
gegen die anderen in der Überzahl, und wir schließen
daraus nicht mit Unrecht, daß ihnen das Publikum
mehr gewogen ist, als dem altmodischen Kram, der
seine künstlerische Armut in Rokoko- und Renaissance-
Ornamente verhüllt. Daraus geht die wichtige Tat-
sache hervor, daß das Publikum nicht so konservativ
ist, wie die Angstmeier glauben machen möchten.
Das Publikum nimmt auch Neues an. Warum nimmt es
Neues an? — Wir sehen wieder ins Schaufenster und
stellen fest, daß es sich bei diesen neueren Arbeiten
um den sogenannten Jugendstil handelt. Wird er vom
Publikum gebilligt, weil er schlecht ist? Nein. Sondern
weil er Zeit gehabt hat, ins Volk einzudringen, weil

Aus dem Schlnf-Raitm mit Blick
in den Salon auf Seile 320.
 
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