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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 18.1907

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Zieler, Gustav: Moderne Bühnen-Dekoration
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https://doi.org/10.11588/diglit.7501#0369

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355

MODERNE BÜHNEN-DEKORATION.

VON D"- GUSTAV ZIELER.

I.

11 Jan kann von moderner Bühnen-Dekoration nicht sprechen,
■i'l ohne sofort den Gedanken an das Berliner Deutsche
Theater und seinen Direktor Max Reinhardt wachzurufen.
Im Zusammenhang betrachtet, ist die Reform der Inszenierung,
die Reinhardt begonnen hat, ein Teil der großen modernen
Bewegung, aber während die „Moderne" auf den anderen
Kulturgebieten in charakteristischer Weise mit der Kritik
des Bestehenden und theoretischen Entwicklung des Neuen
begonnen hat, ist auf diesem Gebiete die praktische Aus-
führung, die schöpferische Tat der theoretischen Begründung
und der Kritik vorausgegangen. Man kann heute wohl Vor-
läufer der modernen Inszenierungskunst nachweisen und
mancherlei Ansähe erkennen, die vielleicht mehr ein Protest
gegen das Bestehende, also Kritik, als positive Taten waren.
Aber in die eigentliche Öffentlichkeit ist die moderne Bühnen-
kunst als ein Fertiges getreten. Gewiß, die Kunst von den
Versuchen, die drüben, jenseits des Kanals, Mr. Beerbohm-
Tree in London mit seinen üppigen Inszenierungen Shakes-
pearescher Komödien macht, war auch zu uns gedrungen,
und dieses technische Raffinement, das man in London schon
in der zweiten Hälfte der 90 er Jahre in den lebendigen
Rasengründen des Schlosses von „Was Ihr wollt" u. a. be-
wundern konnte, mag nicht ohne Einflug gewesen sein, als
Reinhardt die große Tat seiner „Sommernachtstraum"-!nsze-
nierung wagte. Auch in den Biedermeier-Kostümen und
der ganzen Biedermeier - Mode, die Ernst von Wolzogen in
den ersten guten Überbrettl - Zeiten aufbrachte, liegt eine
Wurzel der neuen Bewegung. Aber das Meiste hat sie doch
aus sich selbst und gleich mit einer fertigen Tat geleistet.
Nach meinen persönlichen Empfindungen kann man als den
eigentlichen Geburtstag der modernen Inszenierungskunst die
Sonderaufführung von „Pelleas und Melisande" im Berliner
„Neuen Theater" bezeichnen, die den ersten Anstoß gab zu
jenen verschiedenen Gründungen, aus denen sich dann all-
mählich oder vielmehr überraschend schnell die Reinhardt-
schen Bühnen entwickelt haben. Wenigstens erinnere ich
mich, daß wir in Berlin damals den Böcklinschen Märchen-
wald im ersten Akt von „Pelleas und Melisande" allgemein
als den ersten Lichtstrahl eines neu aufgehenden Tages und
nicht nur als ein Dekorationskunststück neben vielen andern
empfanden.

Daß es sich um ein neues Stilprinzip handelte und
nicht etwa um ein Seitenstück zu den Ausstattungswundern,
wie sie die sogenannten Ausstattungsbühnen, die immer
Symptome einer Geschmacksverwilderung sind, darboten, das
war allen, die Zeugen jener Aufführung waren, sonnenklar.
Die Sehnsucht nach dem neuen Stil war ja damals in den
Jahren, als der Naturalismus immer mehr in Niedergang
geriet, allgemein lebendig, und den Dramen Maeterlincks
gegenüber mußte man natürlich besonders deutlich empfinden,
daß es mit den alten Mitteln der Bühnendekoration nicht
mehr ginge. Hier mußte vollständig mit der Tradition ge-
brochen werden, und etwas ganz Neues, Stilisierung in die
Raumgestaltung und Ausschmückung der Bühne kommen.
Durch die zwingende Notwendigkeit wurden die Geister
wachgerüttelt und Bühnenleute wie Publikum gezwungen,
sich mit den grundlegenden Fragen auseinanderzuseßen.
Und Hand in Hand mit diesen Fragen gingen dann die
Antworten: Die Inszenierungen der „Salome", des „Sommer-

nachtstraums", von Wedekinds „So ist das Leben!" sind
die nächsten Etappen auf dem Wege der Reform. Jedes
neue Stück brachte neue besondere Probleme, die nicht nur
den Theatertechniker, sondern auch den Ästhetiker und den
Kritiker angingen, denn es tauchten auch grundsäßliche
Fragen auf, die zu einer Erörterung der Frage des Zu-
sammenhangs zwischen Mensch und Umwelt, der Frage
nach den psychologischen und physiologischen Geseßen
der Bühnenwirkung, nach dem jeweils besten Stil der Ver-
körperung dichterischer Ideen auf der Bühne führten, und
die vorgeschrittenen Geister sahen schnell ein, wie viel
Unkultur in der herkömmlichen Ignorierung der Inszenierungs-
kunst und der Auslieferung der Bühne an die Theatermaler
lag. Diese, ganz in den Banden der Tradition, bemühten
sich nur innerhalb des herkömmlichen Rahmens möglichst
überraschende und dem Auge wohlgefällige Bilder zu ent-
werfen, ohne daran zu denken, ob denn nicht auch die In-
szenierungskunst wie alles dem Geseße der Entwicklung
unterworfen sei und ob nicht vielleicht das moderne Auge
die modernen Nerven ganz andere Grundlagen verlange und
durch Schaffung dieser Grundlagen eine Quelle ganz un-
geahnter neuer Wirkungen erschlossen werden könnte-
Aber als sich nun so mit überraschender Schnelligkeit die neue
Inszenierungs-Kunst entwickelte, dank der rastlosen Energie
Reinhardts, der unausgeseßt auf neue Gedanken kam und
vor allem durch Schaffung eines Beirates von anerkannten
Künstlern, wie Karl Walser, Louis Corinth, Max Slevogt
immer neue Keime zur Entfaltung brachte, da dauerte es
auch nicht lange, und die bleiche Schar der Warner tauchte
auf, die von einem „Überwuchern" der Dekorationskunst,
von Zweifeln an der Richtigkeit des Ausstattungsreichtums
gegenüber Shakespeare, von Rückkehr zur Einfachheit
sprachen. Solche Stimmen fehlen dem Neuen niemals,
wenn es sich erst durchgekämpft hat, und zumal nicht in
Berlin, das im ausgeprägten Sinne eine urbs rerum novarum
cupida ist. Es lohnt sich gegenüber diesem Zustand,
gegenüber diesem Stimmengewirr, das gegenwärtig sich
erhoben hat, die Frage im Zusammenhang zu erörtern und
zu untersuchen, was schon geleistet ist, und wo etwa die
Gefahren liegen.

IL

Organisation heißt die große wirkende Kraft unseres
Zeitalters, die Kraft, die in der Welt der Wirklichkeit das
Leben bestimmt. In der Literatur ertönte ja zumal Ende
der achtziger und Anfang der neunziger Jahre des vorigen
Jahrhunderts der gegenteilige Schlachtruf, und man be-
geisterte sich für das Recht der freien Persönlichkeit und
sprach stolz von einem Zeitalter des Individualismus. Die
Welt, in der das Recht der Persönlichkeit oberstes Geseß
war, bestand aber nur in den Köpfen der Literaten. Draußen,
in der wirklichen Welt ordneten sich die Geschehnisse nach
dem entgegengeseßten Prinzip: Unterordnung des Einzelnen
unter das Ganze, Zusammenschluß der Einzelkräfte im
Dienste eines höheren Ganzen, Verbindung der Einzelwillen
zu einem Organismus; so lautet heute das Geseß der Welt.
In der Politik, im sozialen Leben, im wirtschaftlichen Dasein
ist die immer feinere Ausbildung der Organisation das
eigentliche Ziel. Und dasselbe Prinzip beherrscht diejenigen
Gebiete der Kunst, auf denen sich eine Vielheit wirkender
Kräfte zum Werke zusammenschließt: Kapellmeister und
 
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