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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 18.1907

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Zieler, Gustav: Moderne Bühnen-Dekoration
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https://doi.org/10.11588/diglit.7501#0370

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356

INNEN-DEKORATION

Regisseur spielen heute die Hauptrulle in ganz anderem
Maße als die Virtuosen und die Stars. Organisation der
Kräfte ist auch hier der leitende, oberste Grundsarj geworden.
Wenn nun also der Mensch von heute gegenüber einem
Musikwerk oder einem Bühnenstück vor allem verlangt, daß
es ein einheitliches Ganze darstelle, wenn der Zuschauer
von heute so fein organisiert ist, daß ihm jeder Ton, der
die Harmonie des Ganzen stört, den Genuß verdirbt, so ist
es nur eine Konsequenz, daß auch die Frage der Bühnen-
Dekoration im Theater eine ganz andere Rolle spielt als
n früheren Zeiten. Der enge Zusammenhang zwischen dem
Menschen und seiner zeitlichen und örtlichen Umgebung
ist für uns Söhne des naturwissenschaftlichen Zeitalters eine
so selbstverständliche Erkenntnis geworden, daß wir gegen
Stilfehler in dieser Richtung ungemein empfindlich geworden
sind. Den „Hamlet" in Rokokotracht, wie er noch im
18. Jahrhundert gegeben wurde, können wir uns heute gar
nicht mehr auf der Bühne denken. Viel eher ist unsere
Phantasie noch bereit, über eine mangelhafte Dekoration
hinwegzusehen und das Fehlende zu ergänzen, als eine
stilwidrige Umgebung zu dulden. Aber wir sind heute noch
viel feiner organisiert, als daß wir vom Regisseur nur ver-
langten, er solle sich frei von Anachronismen halten.
Wir verlangen, daß der Zusammenhang zwischen äußerer
Umgebung und innerem Erlebnis, die Gebundenheit des
Schicksals an das Milieu auch in den zahllosen feinen und
kleineren Zügen sichtbar wird, denn wir wissen heute, wie
ungeheuer viel von solchen scheinbaren Kleinigkeiten abhängt.

Die Behausung des Pfarrers Johannes Rosmer muß zu
dem schweren gediegenen Ernste des Mannes stimmen,
wenn wir ihn und sein Handeln ganz verstehen wollen.
Jörgen Tesman und Hedda Gabler müssen so reich und
luxuriös eingerichtet sein, damit wir das Mißverhältnis der
spießbürgerlichen Gesinnung des Hausherrn zu dem ihn

umgebenden geschmackvollen Luxus und damit zugleich
Heddas persönlichen Geschmack und den mächtigen Einfluß,
den die weltmännische Überlegenheit Bracks auf das Geschick
dieser ungleichen Ehe schon gewonnen hat, und Heddas Furcht
vor der Zukunft vom ersten Augenblick an instinktiv fühlen.
Die saubere Spießbürgerlichkeit der Menschen in Davies
feinem Lustspiel „Unsere Käte" und die altmodische Zier-
lichkeit in Barries humorvollem (seiner Zeit von der Kritik
größtenteils falsch verstandenem) Schauspiel „Quality street"
(„Im stillen Gäßchen") kommen erst richtig zur Wirkung,
wenn der Biedermeier-Charakter bis ins Kleinste auch in
allen Dingen der Umgebung zum Ausdruck gelangt. Diesen
Scharfblick für Dinge, die man früher als Äußerlichkeiten
ansah, und diese Feinfühligkeit wollen wir als eine Er-
rungenschaft der naturalistischen Epoche ansehen und nicht
etwa als etwas Vorübergehendes. Wir müssen also die
Forderung erheben, daß jede Bühne von Rang in allen
Fällen, wo dem Dichter die Gebundenheit seiner Gestalten
an die äußere Umgebung als etwas Wesentliches vor-
geschwebt hat, sich bemüht, diesen Zusammenhang auch
durch eine möglichst echte und reiche Inszenierung für den
Zuschauer deutlich und spürbar zu machen.

Auf diesem Wege liegt nun freilich eine Gefahr, die
Gefahr, daß die möglichst reiche und treue Gestaltung des
dekorativen Rahmens zu sehr Selbstzweck wird und daß
schließlich der Bühnendichter durch den Dekorateur ganz
an die Wand gepreßt wird. Es ergibt sich also als Haupt-
forderung, daß der leitende Regisseur einen genügend
feingeschulten Geschmack habe, um das dekorative Beiwerk
nur als Glied in der Kette des Ganzen zu betrachten
und nie mehr zu geben, als zur charakteristischen
Wiedergabe des Ganzen und zur Verstärkung und Ver-
tiefung des dichterischen Wortes, als welches immer
das A und das O der Inszenierung bleiben
 
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