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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 18.1907

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Schaukal, Richard: Der Salon: Eine Kultur-psychologische Glosse
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https://doi.org/10.11588/diglit.7501#0361
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INNEN-DEKORATION

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DER SALON.

EINE KULTUR-PSYCHOLOGISCHE GLOSSE VON RICHARD SCHAUKAL-WIEN.

Etwas unnachahmlich Deutsches — ein Gemisch
, aus unbewußter Geschmacklosigkeit, klein-
bürgerlicher Selbstgefälligkeit, Ordnungssinn bei
bescheidenem Wohlstand, reinlicher Pedanterie,
armseliger Wichtigtuerei, Kindlichkeit und kurz-
atmigem Snobismus, arglosem Pharisäertum und
Bonhomie, Pietät, Autoritätsglauben, Tradition,
Schwerfälligkeit, Nüchternheit — steigt wie ein
etwas fader Geruch aus dem sehr rationellen Wort
»gute Stube«. Die gute Stube ist das Sanktuarium
der »züchtigen Hausfrau«, das sichtbare Zeichen
ihrer im Entwicklungsgange »Das Weib als Jung-
frau, Gattin und Mutter« endgiltig erreichten (und
sich mit Überzeugung verflachenden) Gipfelstellung.
Die gute Stube wird mit aufopfernder Hingebung
gepflegt und (für die unausbleiblichen Motten)
erhalten. In diesem Feiertags- und (nur selten
enthüllten) Prunkraum gelangt im Laufe der nicht
allzu »pfeilgeschwind fliehenden« Jahre alles, was
dem Hausrat an überflüssigem Schmuck-Kram
von lieblos schenkender Hand hinzugefügt wird,
zu rührend unzusammenhängender Aufstellung;
hier stehen die »Girandolen« aus Bronze oder
Schmiede(?)eisen, die »realistisch« lackiertenMajolika-
und Porzellantiere, prangen die »Flinserl«tücher
und Spitzenbehänge, »träumen« die >venetianischen«
und die an verplüschte Sockel gefügten Stand-
spiegel, verkümmern die »vornehm das Gemach
verdunkelnden« Palmen.

Das trübselige Zimmer soll den Besuchsraum
vorstellen. Nach deutscher Kleinbürger-Auffassung
ist ein Besuch etwas Feierliches, irgendwie vom
Alltag zu Unterscheidendes. Ein Besuch: man
kennt das Provinzschema. »Herr und Frau« statten
an einem Sonntag Vormittag »Herrn und Frau«
ihre »Visite« ab. Das Ereignis ist meist keine
Überraschung. Man ist vorbereitet. Man empfängt.
Etwas Kläglicheres ist kaum denkbar als diese
wechselseitig mit Ernst, ja Würde aufrechterhaltene

Komödie der »Aufwartung«. Das Lächerliche
steckt, wie immer, im Kontrast. Kleine Häuslich-
keit, plötzlich in Repräsentation erstarrend; un-
sichere Gebahrung, die wie ein verrosteter Mecha-
nismus ächzend in Funktion tritt. Wo anders als
in einer sonst gänzlich zwecklosen Prunkstube als
im gebührenden Milieu kann sich solches Kräh-
winkeltum abspielen ? Der Unsinn, der darin liegt,
daß Menschen von bescheidensten Lebensgewohn-
heiten einander, wie von Quartalswahnsinn gepackt,
zeitweilig, notwendigerweise unzulänglich, »Welt«
vorspielen, der größere Unsinn, daß dieser Fiktion,
mit Hintansetzung der dringendsten Bedürfnisse,
ein eigner Raum gewidmet wird, gewidmet werden
muß, fordert die Karikatur heraus.

Die bürgerliche Wohnung, die, des Bade-
zimmers entratend, den »Salon« nicht entbehren
zu können — sich erdreistet, ist ein symptomatisches
Merkmal unserer horrenden Unkultur.

Der »Salon« als Prunkraum stammt aus
repräsentativen historischen Epochen. Er verlangt,
wie Shakespeare's Rosenkranz im Güldenstern, seine
Fortsetzung in einer Reihe gleichgearteter Räume.
Nur das »große Haus« darf sich »Salons« erlauben,
das »große Haus«, das heißt, eine in Verhältnissen
sich darstellende Haushaltung, die sich weit über
die auch wohlsituierter Bürger erhebt. Die
bürgerliche Wohnung bedarf keiner »guten« Stube:
alle ihre Stuben seien »gut«, d. h. zweckentsprechend.
Die bürgerliche Wohnung umfaßt eine Familie,
die essen und schlafen und sich, manchmal auch
im geselligen Kreise, vergnügen will; Arbeits-
räume (des Familienvorstandes, lernender Kinder),
die »Kemenate« der Hausfrau erweitern angenehm
ihr Schema. Mit »Salons« hat sie nichts zu schaffen.
Und »der« Salon ist eine Lächerlichkeit. Nicht
als redete ich einem Schildkrötendasein das Wort.
Ausdrücklich sei auf das schätzbare Bedürfnis nach
geselligen Zusammenkünften im Hause (nicht im
 
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