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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 28.1917

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Westheim, Paul: Stickereien und Spitzen im Wohnraum
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https://doi.org/10.11588/diglit.10024#0354
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332

INNEN-DEKORATION

MARIANNE THE1NER-PRAO

VORHANG MIT WEISS-ST1CKEREI

STICKEREIEN UND SPITZEN IM WOHNRAUM

Ein bezeichnendes Kriegserlebnis war ein Spitzweg-
Bilderbuch, das durch irgendeinen Zufall mir
vorigen Winter mit der Feldpost nachgeschickt worden
war. Eine Zeitlang war es das Labsal der Wache, auf
der ich mich befand. Männer aller Schichten, die das
Schicksal da zusammengewürfelt hatte, waren ergriffen
von der Besinnlichkeit und Herzlichkeit der Spitzweg-
schen Krähwinkeliaden. So viel Heimeliges und Anhei-
melndes war in dieser Kunst nach all den Unheimlich-
keiten, die einem in schweren Wochen und Monaten be-
schieden gewesen waren. Es war ein Drängen um diese
Bildchen, viel stärker, als wenn es irgendeine der blut-
rünstigen Aktualitäten gewesen wäre, nach denen von
den Leuten da draußen wahrlich kein Begehren war. —
So bezeichnend es ist, so erklärlich ist es auch, daß die
Sehnsucht aller nach der Heimat und am allerstärksten
nach dem Heim, den stillen Freuden des Zuhause ging.
Jeder schwärmte auf seine Weise und jeder hatte da ein
anderes Behagen, von dem er mit Wehmut sprach. Was
früher nur als Rahmen, nur als Zutat galt, ist Verlangen
geworden, riesengroß! Draußen im Schlamm und Eis,

da haben wir das Trauliche und Zarte schätzen gelernt,
man ist bescheiden geworden im Äußeren und wiederum
auch anspruchsvoll, voller Sehnsucht, begehrlich nach
dem Innerlichen. — Es bedarf keiner prophetischen Be-
gabung, daß die Menschen, die diesen Krieg hinter sich
haben werden, mit einer gewaltigen Ergriffenheit hängen
werden an allem, was ihr Heim, ihre wahre und wirk-
liche Zukunft anheimelnder macht. Und gerade die feinen
gepflegten, innerlich kostbaren Dinge, die Dinge, die
irgendwie aus dem Seelischen kommen und die Seele
ansprechen, werden ihnen die Entspannung bieten, nach
der sie lechzen. — Ob es große oder kleine Kunst sein
wird, Bildliches oder Gewerbliches, das Begehren wird
immer gleich mächtig sein. Auch die Frauenkünste,
das beseelte Nadelwerk, so weit es mehr als Spielerei
mit Formen und Farben und Stoffen ist, werden teilhaben
an dieser inneren Ergriffenheit, mit der alles geruhig
Schöne aufgenommen werden wird. Sie vielleicht ganz
besonders, weil in den Spitzen, den Stickereien und
Häkeleien sich am allerstärksten die Zartheit des
Empfindens auszuwirken vermag, die gesucht sein wird.
 
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