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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 28.1917

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Zucker, Paul: Formempfinden und Raumgefühl
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https://doi.org/10.11588/diglit.10024#0404
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INNEN-DEKORATION

als Regulativ noch hinzu und zwar derart, daß ich ihn als
subjektiven selbstkritischen Rahmen der optischen Ein-
drücke und der damit verbundenen gewohnheitsmäßigen
gedanklichen Schlüsse bezeichnen möchte.

Als Beweis, daß die Erfahrung zum Bewußtsein
des Raumes gehört, kann man vielleicht die Tatsache an-
führen, daß ein Kind nach dem Mond, den es sieht, greift
— es weiß noch nicht den dazwischen liegenden Raum,
es hat ihn noch nicht erfahren, wie wir überhaupt erst all-
mählich körperlich, das heißt stereoskopisch, sehen lernen.

Die künstlerische Raumgestaltung kann also nicht mit
festen Tatsachen in ihrem Material rechnen, sondern ver-
langt bei jedem künstlerischen Einzelwerk vom Beschauer
einen neuen Vorgang der Einfühlung, er muß sich jedes-
mal neu und anders »einstellen«. Daher ist sie ganz be-
sonders vom Einzelmenschen in ihrer Wirkung abhängig
und wird ihn mit allen Mitteln, die ihr zu Gebot stehen,
zu denjenigen Vorstellungen zu zwingen suchen, die den
optischen Zweck des betreffenden Kunstwerkes, den
künstlerischen Eindruck, den es machen soll, unterstützen.
Ist bei einer Stadtanlage aus praktischen Gründen ein
Platz zum Beispiel nicht ganz rechtwinklig angelegt, soll
aber so wirken, so werden auf dem Platze Baumreihen
gepflanzt, die zu einander rechtwinklig stehen — und
unwillkürlich wird dem Passanten, der den ganzen Platz
mit seiner Baumfüllung sieht, auch die aus Häusern be-
stehende äußere Platzumgrenzung rechtwinklig erscheinen.
Auch die Wirkungen aller Scheinarchitektur, die Technik
des Bühnenbildes beruhen auf ähnlichen Gestaltungs-

prinzipien. Merkwürdig ist nun die verschiedene Disposi-
tion des Einzelnen dem Räume gegenüber. Romanen
haben ein anderes Raumempfinden als Germanen, leicht
erregbare Naturen ein anderes als ruhigere Temperamente.
Baustile, welche die ganze zivilisierte Welt beherrschten
wie die Gotik oder das Barock, haben in den verschie-
denen Ländern ganz verschiedene Erscheinungsformen.
Und warum? Die Einzelformen, die künstlerischen De-
tails sind zwar dieselben, nur der Geist, der die Propor-
tionen bestimmt, ist ein anderer. Ebenso wie der Rhythmus
im Zeitlichen den Volkstanz des Italieners von einem
deutschen Ländler unterscheidet, so ist ein Unterschied
zwischen der Raumwirkung einer italienischen gotischen
Kirche und der eines deutschen gotischen Domes — be-
dingt durch das rassenmäßig verschiedene Raumempfinden.
Man hat versucht, diese Verschiedenheiten aus der natür-
lichen Umgebung, aus der Landschaft zu erklären, so
Goethe in der italienischen Reise, es sind aber alles dies
doch immer nur gedankliche Spielereien, die vielleicht
auf einen Einzelfall ein neues und interessantes Licht
werfen, — sowie sie verallgemeinert werden, genügen
sie nicht zur Erklärung des Gesamtphänomens.

Wird der Raum nun noch in sich geteilt, handelt es
sich nicht nur um die allgemeine Wirkung einer Platz-
anlage im Städtebau, sondern beispielsweise um die Ein-
teilung in Haupt- und Seitenschiffe bei einer Kirche, um
die Möbelstellung in einem Festsaal, so kommt noch ein
neues urwesentliches Element hinzu. Hier ist es nicht
nur ein absolutes Raumempfinden, aus dem die Lust-
 
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