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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 28.1917

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Vogt, Adolf: Ketzereien über Raumkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.10024#0449
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INNEN-DEKORATION

427

KETZEREIEN ÜI

Ihr verschwendet das Licht — in den Gaststätten sowohl,
wie zuhause. Licht erheitert, belebt, pullt die Geister
auf wie Sekt. Aber von dieser antreibenden Wirkung
ist nur ein kleiner Schritt zum Gegenteil, zur Abstumpfung.

Die Menge und die Stärke der Beleuchtung erschlägt
die Stimmung. Man fühlt sich einem intensiven Kreuz-
feuer ausgesetzt. Die Sinne sind von dem Lichtbad, den
quälenden, stechenden Strahlen vollkommen beansprucht.
Das reißt gewalttätig und übermächtig an den Nerven-
strängen, bis sie erlahmen. — Was ist die Folge? Die
Augen werden müde, es ermüdet aber auch der Geist,
der mehr, als man glaubt, von dem Wohlbefinden der
Sinne abhängig ist. —

»Im Dunkeln ist gut munkeln«, sagt ein altes Wort.
Es steckt viel psychologische Weisheit darin. Wenn es
auch richtig ist, daß müde Sinne vom absoluten Dunkel
eingeschläfert werden — wo nur momentane Überreizung
vorliegt, ist das Dunkel eine unendliche Wohltat fürs
Auge und für den ganzen Menschen. Da sammelt sich
der Geist, da steigen die Gedanken in die Tiefe, da
wachen die unterdrückten Gefühle auf — und vollends,
was wir »Stimmung« nennen, das ist nicht anders denk-
bar als bei gedämpftem Licht. Wie viel Freude und
Stimmungsschönheit hat nicht in den Zeiten unserer
Eltern und Großeltern die ärmliche Petroleumlampe ver-
breitet, sie gab sozusagen den Ton an für die Unterhal-
tung. Wie weise verteilte sie Hell und Dunkel im Zim-
mer, was gab das für reizvolle Spiele der Lichteffekte
und der Schatten! Unser jetziges System, das Licht nur
fortissimo spielen zu lassen, ist demgegenüber fast ein

RAUMKUNST

Zeichen zunehmender Barbarei. Wir müssen erst wieder
zu einer richtigen, wohltätigen Ökonomie des Lichtes
erzogen werden. —

Ein anderer Fall! Haben wir nicht alle schon über
die merkwürdige Erscheinung nachgedacht, daß alte Wirt-
schaften und Kaffeehäuser mit ihrer relativ schäbigen,
teilweise ruinösen Einrichtung oft viel besser besucht
werden als moderne, glänzende Lokale, die mit allen
Schikanen künstlerischer Innen-Dekoration ausgestattet
sind? Man sollte z. B. vermuten, daß Damen, wo solch
ein mondänes Lokal am Orte ist, ein anderes überhaupt
nicht mehr besuchen würden. So ist es aber nicht. Sie
fühlen sich an der alten Stätte oft viel wohler. Wenn
Weinlokale wie Lutter und Wegner oder Bartolini, oder
wenn die Münchner Bierkeller sich in dem Stil der neuen
»Dielen« verfeinern würden, ich wette, kein Mensch
würde sie mehr besuchen, auch nicht die vornehme Welt.

Das mag zum Teil auf die bekannte »Macht der Ge-
wohnheit« zurückzuführen sein. Es spielen aber auch
noch manche andere Momente herein, die mit der Frage
der Raumkunst sehr enge zusammenhängen.

Jene Menschen, die einen Instinkt für die repräsenta-
tive Wirkung ihrer selbst haben — und die Zahl derer,
die nicht in irgend einem Sinne »wirken«, Eindruck
machen wollen, wird immer geringer — sie fühlen sehr
wohl die Resonanz, die die besondere Art des Raumes
ihrer Erscheinung, ihrem ganzen Wesen gibt, sie fühlen
aber auch, in welch hohem Grade sie selbst, ihre Stim-
mung, ihre Unterhaltungsgabe, von den räumlichen Ver-
hältnissen abhängen und beeinflußt werden,

1917. XII. 3.
 
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