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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 29.1918

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Zimmermann, Ernst: Verschiedenart künstlerischen Empfindens, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.10022#0160
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144

INNEN-DEKORATION

GUSTAV CRECEUUS t KARLSRUHE

BLUMEN- UND FRÜCHTE-STILLEBEN

VERSCHIEDENART KUNSTLERISCHEN EMPFINDENS

VON PROFESSOR DR. E. ZIMMERMANN

Daß sich über den Geschmack nicht streiten läßt, ist
eine Behauptung, die so sehr schon Gemeinplatz
aller geworden ist, daß man sich fast scheut, dieselbe
noch einmal hier zu wiederholen. Und doch ist vielleicht
keine auf dem Gebiet der Ästhetik wahrer als diese.
Wer, wie der Verfasser, als Leiter einer größeren, von
anerkannt schönen Dingen angefüllten Sammlung jahraus,
jahrein Gelegenheit gehabt hat, vor immer den gleichen
Gegenständen immer andere Menschen in ihren Urteilen
über jene zu belauschen, der kann nicht anders als er-
staunt sein, wie unendlich verschieden diese selbst bei
jenen ausfallen, die durch Anlage, Beruf oder Schulung
in erster Linie dazu berufen erscheinen, derartige Urteile
zu fällen. Es gibt in der Tat nur wenige Erzeugnisse in
der Sammlung, die stets von diesen die gleiche Beurtei-
lung erfahren werden. Was den einen begeistert, gefällt
dem anderen noch lange nicht. Was diesem zusagt, läßt
jenen noch völlig kalt und so findet in der Regel ein
eigenartiges Schwanken der Meinungen statt, das arg in
Verwirrung setzt, für das sich auch nicht immer eine Er-
klärung finden läßt. Und nur, wer die Stimmen wägt
und zugleich auch zählt, wird den Gegenständen gegen-
über, wofern man sich nicht ganz allein auf sein eigenes

Urteil verlassen will, zu einigermaßen gesicherten Ein-
schätzungen gelangen.

Diese Beobachtung stimmt sehr zum Nachdenken.
Wie ist sie zu erklären?

Es kann kaum zweifelhaft sein, daß der Mensch der
Kunst gegenüber, auch wo es sich nur um ihre Aufnahme
handelt, ganz verschieden begabt ist. Er besitzt ihr gegen-
über unzweifelhaft von Natur aus ein ganz verschiedenes
Empfindungsvermögen. Das ist bisher merkwürdig wenig
beachtet worden, viel weniger, als auf dem Gebiet der
Musik, auf dem freilich diese Unterschiede der Begabung
sich aus mancherlei Gründen viel deutlicher bemerkbar
machen müssen. Auf diesem steht es schon lange fest,
daß hoch musikalisch Veranlagten ganz unmusikalische
gegenüberstehen und daß sich dazwischen alle nur er-
denklichen Zwischenstufen befinden. Die einen empfinden
nichts bei ihren Tönen, sie sagen: sie können sich nichts
dabei »denken«, bei denselben Klängen, durch die für
die anderen sich eine ganze^Welt auftut, die freilich mit
Denken zunächst garnichts zu tun hat. Sie haben eben
kein »Gehör« und alle Übung, alle Erziehung, und sei
sie noch so eingehend, hilft ihnen nicht. Es fehlt ihnen
eben das Organ für das Verbinden der einzelnen Töne,
 
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