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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 48.1937

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Michel, Wilhelm: Staude, Lehnstuhl und Kommode
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https://doi.org/10.11588/diglit.10944#0056
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INNEN-DEKORATION

STAUDE, LEHNSTUHL UND KOMMODE (Ein
Märchen, nicht ohne tieferen Sinn). Kokett ließ
die Staude eins ihrer länglichen Blätter auf den
Lehnstuhl fallen, der seit zwei Tagen neben ihr
wohnte. »Sprechen Sie vielleicht zufällig italienisch?«
säuselte sie, »ich stamme nämlich aus dem Süden.« —
»Dafür kann ich nichts«, hüstelte der Lehnstuhl steif,
»Sie hätten sich das früher überlegen sollen.« - »O
wie unhöflich!« hauchte die Staude. - »Ich halte
nichts von Höflichkeiten«, sagte der Stuhl und nahm
die Schultern noch etwas mehr zurück.

»Hören Sie nicht auf diese leichtfertige Person«,
mischte sich die Kommode ein; »Sie brauchen bei
Ihrem offenen, geraden Wesen eine Frau von sitt-
lich gediegenem Naturell, die sich an Ihnen hinauf-
rankt.« - Spitz lachte die Staude: »Vom Hinauf-
ranken sollte ich doch etwas mehr verstehen als
Sie!« - »Dafür habe ich etwas in mir«, sagte die
Kommode, »ich bin ein gehaltvoller, verschlossener
Charakter.« - »Einen Bauch haben Sie, Verehrte!«
kicherte die Staude, »und Sie stellen die Beine breit
wie eine Marktfrau!« - »Standhaftigkeit ist auch eine
Tugend«, sagte mißbilligend der Stuhl und schielte die
Kommode mit erwachendem Interesse an. Die lachte
mit allen Zahnreihen und machte mit jeder Schub-
lade ein rundes Mündchen. »Ich fühlte seit Ihrem
Einzug, daß Sie gut zu mir passen würden«, sagte sie,
»Ihr gerades Wesen, jenes gewisse vierbeinige und
rechtwinklige Je ne sais quoi, das Sie auszeichnet -

armsessel und kleine kommode aus

aber ich spreche nicht weiter, denn das ist unfein.« -
»Oh, ich plaudere gern!« säuselte die Staude, »und
gäbe es hier nur etwas Sonne und Wind, dann würden
Sie meine Unterhaltungsgabe kennenlernen!« - »Ich
verstehe nicht, wie man an Belästigungen wie Sonne
und Wind Freude haben kann«, gab die Kommode
zurück, »da verschießt man und springt.« - »0 Sonne!
0 Luft!« flüsterte träumerisch die Staude, »was wäre
das für ein Leben! Aber das kann nur verstehen,
wer aus dem Süden stammt.« - »Da haben wir es«,
brummte die Kommode, »ich wette, sie schwärmt
auch für Wasser!« - »Brr!« machte der Stuhl ent-
setzt - da ging die Tür auf, und der Hausherr kam
herein mit dem Gärtnerburschen. »Da steht sie«, sagte
er und wies auf die Staude. »Siehst du, sie läßt schon
die Blätter fallen. Trage sie vorsichtig in den Garten,
daß sie sich erholt.« — »Addio, Sie Kombination von
Linealen«, winkte fröhlich die Staude, während sie
am Arm des Gärtnerburschen hinaustänzelte, »jetzt
ziehe ich hinaus in die Sonne!« - »Da geht sie hin«,
sagte der Lehnstuhl und fügte bedauernd hinzu:
»Eigentlich hatte sie eine schlanke Figur und eine
mondäne Linie!« Das Wort blieb ihm stecken, denn
in diesem Augenblick ließ sich der Hausherr auf ihm
nieder. - »Sie hatte keine Politur. Das war ihr Schick-
sal«, bemerkte die Truhe mit Entschiedenheit, »und
außerdem besaß sie ohne Zweifel einen schwachen
Brustkasten!« - »Sie haben recht«, knarrte der Stuhl,
»ich bin auch mehr für das Gesetzte.« - wilh. michel

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den werkstatten »haus und garten«
 
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