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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 48.1937

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Michel, Wilhelm: Haus- und Wohnraumgestaltung von Adolf C. Rüdenauer
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https://doi.org/10.11588/diglit.10944#0336
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324

INNEN-DEKORATION

kann auch an manche Einzelheit von der Pariser
Weltausstellung denken - zeigt überdies, daß diese
Tendenz sich in der gesamten europäischen Raum-
gestaltung abzeichnet: Überall sieht man die Phan-
tasie der Raumkünstler am Werk, um alte und hoch-
moderne, erlesene und ganz wohlfeile Werkstoffe und
Verfahren im Wohnraum zur Geltung zu bringen,
oft in völlig neuer Nutzung ihrer technischen und
ästhetischen Eigenschaften.

Was hier Phantasie genannt wurde - Phantasie in
einer zuchtvollen Bindung an Zweck und Stoff, — das
darf in andrer Wendung als ein führender Begriff
obenan gestellt werden bei der Betrachtung der neuen
Arbeiten Rüdenauers. Das Projekt eines Hauses
am See (Abb. S. 322 u. 325) spricht in der eigentlichen
Baubehandlung unzweideutig die besonnene, sach-
liche Formsprache der Gegenwart. Aber die Führung
der Linien und der Massen zeigt durchgehends
Schwung und Eingebung, Sinn für Poesie der land-
schaftlichen Lage, der Raumfolge und des Raum-
bildes. Die leichte Kurve des Seeufers schwingt durch
den ganzen Grundriß und teilt ihm eine feine Be-
wegung mit. Der Terrassensteg fährt in Höhe des
Obergeschosses weit aus, um dem Arbeitszimmer im
Erdgeschoß das Nordostlicht nicht zu verkürzen, und
wird dabei als eigenartig phantasievolle Linie im Ge-
samtbilde wirksam. Der Innenausbau schafft wech-
selnde Raumbilder mit schönem Ineinandergleiten
der Einzelheiten und führt mit gelassener Hand zu
einem charaktervoll gezeichneten, anmutig geglie-
derten Baukörper, dem selbst das leichte Pultdach
gut zu Gesicht steht. Als Baugrund ist ein Gelände-
streifen gedacht, der an der Bucht eines kleinen Sees
liegt und mit einer »Nase« in denselben einspringt.
Der Haupteingang - vgl. zum folgenden die Grund-
risse (S. 325) - liegt an der Nordwestseite und führt
durch einen Windfang (1) in eine geräumige Diele (2)
mit Kleiderablage und Treppenansatz. An die Diele
schließt sich eine Wohnhalle (3), die bis zum Dach
durchgeht und deren hohes Fenster sich nach Süd-
osten zum See öffnet. Um Diele und Wohnhalle
scharen sich gesellig die Zimmer des Erdgeschosses.
Ungemein stattlich ist der etwa 7 m lange Arbeits-
raum des Hausherrn (5) mit Bibliothek, Fenstern von
zwei Seiten und Austritt zur Terrasse; das Raumbild
ist belebt durch die einspringende Ecke des Winter-
gartens (7) und die breite, vertiefte Sitznische. Das
Zimmer der Hausfrau (6) schließt sich an, drüben
dann das Eßzimmer (4), als Holzstube mit Kachel-
ofen gestaltet; eine Durchreiche verbindet es mit der
rückwärts liegenden Küche (8). Im Obergeschoß
liegen eine kleinere Diele (15), das Elternschlafzim-
mer (17), die Kinder- (18, 19), Gäste- (23) und Mäd-
chenzimmer (24). In die hohe durchgehende Wohn-
halle schneidet die obere Diele als Galerie mit schön
geschwungener Linie ein, um den Durchgang zum
Gastzimmer zu vermitteln. Es ergibt sich in beiden
Geschossen ein Grundriß von ausgesprochen liebens-
würdiger, einschmeichelnder Führung und gleich-

zeitig klarster Zweckmäßigkeit. Dieselbe Note ist in
der Behandlung des Uferstreifens (Treppenstufen)
und der beiden Terrassen festgehalten. Die Südwest-
terrasse ist durch das um etwa 3 m vorgezogene Pult-
dach des Hauses überdeckt. Die überbaute Fläche be-
trägt 152 qm bei 1140 cbm umbautem Raum (ohne
Steg); die reinen Baukosten sind auf 40000 M., die
des Innenausbaus samt Möblierung auf 12000 M.ver-
anschlagt.

Denselben Charakter einer in besonnenen Formen
sich aussprechenden, phantasievollen und gemüts-
warmen Gestaltung zeigen Rüdenauers Wohnräume.
Einem von ihm umgebauten Wohn-Eß-Zimmer
(Notar H. in Stuttgart) entstammen die Ausschnitte,
die unsre Abbildungen S. 326, 327, 329, 330, 331 vor-
führen. Eine Wand dieses Raumes ist durch einen
großen Schrank-Einbau mit einer Tür (links) und
einem Gasheizofen (rechts) zu einer stattlichen Front
zusammengefaßt, die eine feste architektonische Hal-
tung hat (Abb. S. 326). Das Ganze ist in schlicht
naturbelassenem Birnbaum ausgeführt; den oberen
Abschluß bildet ein 4,70 m langer, handgeschnitzter
Bordfries (Bildhauer Zimmer, Stuttgart), von dem
die Abb. S. 330 eine Teilansicht gibt. Der Gasofen in
der Ecke rechts, für kalte Tage trotz der vorhandenen
Zentralheizung unentbehrlich, hat eine ältere, sperrig
und unschön wirkende Anlage ersetzt. Die Rohre
wurden verlegt und in einer ummauerten Nische zu-
sammengefaßt; die Ummauerung wurde mit Stein-
zeugplatten verblendet, die Bodenfläche davor mit
Klinkerriemen in Fischgratmuster belegt und das
Ganze durch ein schmiedeeisernes Gitter abgeschlos-
sen. Als Entsprechung zu der Steinzeugabfassung der
Ofennische erhielt die linke Schrankseite einen Ver-
tikalfries aus salzglasierten Steinzeugkacheln in
blauen und braunen Tönen, deren schöne Zeichnung
und feine technische Behandlung (Wim Mühlendyck)
aus den Einzelaufnahmen S. 330/331 ersichtlich ist.
Die an diesen Fries unmittelbar anschließende obere
Schiebetür des Schranksystems verbirgt eine Durch-
reiche von der Küche her. So hat diese Schrankwand
vier verschiedene Einzelheiten (Tür, Durchreiche,
Schrank, Ofen) in einen einzigen Zusammenhang ge-
faßt, der einen stattlichen, eindrucksvollen Körper
bildet. Als eine feine Einzelheit sei der Türdrücker
(Abb. S. 331) hervorgehoben; er besteht aus schwarz-
gebranntem und -gescheuertem Eisen mit Knopf und
Rosette in korallenrot gefärbtem Holz.

Die praktische gute Art der Rüdenauerschen Mö-
belgestaltung zeigt sehr schön das in der Ecke beim
Gasofen stehende Truhengerät, das in seinem rechten
Abteil hinter einer Schiebetür Rundfunkempfänger
und Plattenspieler beherbergt, während links Zeit-
schriften und in der unteren Lade Tischwäsche unter-
gebracht sind (Abb. S. 327 u. 329 unten). Die klare
simple Einteilung des Möbels ist angenehm, die leichte
Auskehlung des Rahmens wirkt auf gute Art schmük-
kend. Darüber ist ein aparter Wandlichtträger ange-
bracht (Abb. S. 323), bestehend aus schwarzgescheu-
 
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