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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 49.1938

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Lasst Sonne herein: zu einem Wohnhaus der Architekten Brüder Luckhardt, Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.10945#0376
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INNEN-DEKORATION

es; die Natur selbst gibt ihm mit ihrer herben winter-
lichen Abstoßung des Warmblüters Mensch dazu das
Stichwort; und ganz sicher wachsen im Feld dieser
Spannung zwischen Mensch und Natur viele einzig-
artige Tugenden des Nordens, das Ethos der Arbeit,
das Ethos des Kämpfers, der sich zur Wehr setzt, der
sich die Lebensbedingungen schafft, welche die Na-
tur nicht schenkt. Aber immer wieder sehen wir in-
mitten dieser Spannung das schwere Problem ent-
stehen: Wie gelangen wir zur lebendigen Einheit des
Menschenwesens zurück ? Gerade die größte deutsche
Geistesperiode, die Zeit Kants und Fichtes, Goethes
und Schillers, der Klassik und des Idealismus - wie
ist sie von diesem Problem belebt und bedrängt! Wie
ringt sie aus dem Kontrast zur Lösung, wie schwer
wird es ihr, über die »Verfeindung« zwischen Natur
und Kultur hinauszugelangen zu dem Standort, wo
Goethes große, auf der schicksalsvollen Südreise er-
rungene Wahrheit sichtbar wird:

Natur und Kunst, die scheinen sich zu fliehen,
Und haben sich, eh' man es denkt, gefunden!

Und hier erscheint der Dienst, den der Süden dem
Norden immer wieder erwiesen hat. Wo Spannungen
sind, kann der Mensch sie auf weitere Verschärfung
hin behandeln; er kann sie aber auch in der Rich-
tung eines möglichen Ausgleichs, also eines lebens-
vollen Einklangs behandeln, kann sich erfrischen und
erholen in dem befreienden Erlebnis, daß er als Kul-
turmensch dem Naturhaften nicht bitter abzusagen
braucht. Das ist es, was Nietzsche meinte, als er for-
derte, wir sollten den Süden in uns wieder entdecken.
Und das ist es auch, was wir an dem naturfrohen und
sonnenfrohen Wohnbau der deutschen Gegenwart zu
ehren haben. Er hat sich ein Herz gefaßt, die Be-
ziehungen unsres Hauses zur Natur in Richtung auf
ein neues Naturvertrauen, nicht in Richtung auf
Naturangst auszubauen. Und der müßte blind sein,
der nicht sähe, wie dies mit der ganzen Verdichtung,
Erfrischung des heutigen Menschen zusammenhängt,
mit der Steigerung seines Selbstvertrauens, seiner
Tapferkeit und Tüchtigkeit. Wer hier nur einen »hy-
gienischen« Fortschritt sieht, greift fehl. Es vollzieht
 
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