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Lasst Sonne herein: zu einem Wohnhaus der Architekten Brüder Luckhardt, Berlin
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.10945#0375
HAUS K. IN GLIENICKE BEI BERLIN
»BLICK VOM GROSSEN WOHNRAUM«
LASST SONNE HEREIN
ZU EINEM WOHNHAUS DER ARCHITEKTEN BRQDER LUCKHARDT —BERLIN
Denn wer sucht wohl ein Land auf, traurig von
Ansehen und Bebauung, außer wenn es sein
Vaterland ist?« rief Tacitus aus, als er in seiner Be-
schreibung Germaniens von dem spärlichen Handels-
verkehr an dessen Nordküsten sprach; und die römi-
schen Literaten mögen das Frösteln bekommen ha-
ben, wenn ihnen die Schilderung des großen Schrift-
stellers ein Gebiet voll endloser Wälder und Sümpfe,
ungebändigter Ströme und ewigen Nebels vors Auge
rückte. Hat aber die Beschreibung damals schon nicht
gestimmt - wie weit ist gar die Wirklichkeit der deut-
schen Landschaft in den tausendachthundertvierzig
Jahren seit dsm Erscheinen der »Germania« über sie
hinausgelangt, welch ein heiteres, schönes Ver-
trauensverhältnis zwischen Natur und Mensch hat
sich namentlich durch die Bauweise der letzten Jahr-
zehnte bei uns aufgetan und hat Deutschland »cultu
aspectuque« zu einem der fröhlichsten Länder unsrer
Zone gemacht! Die Seeufer, die Flußtäler, die Heide
und die Berghänge im Norden und Süden lachen von
hellen Häusern und Siedlungen, die aus Wäldern her-
vortreten und sich mit weiten Fenstern, ja ganzen
Glasfronten der Sonne und der frischen Luft öffnen.
Nietzsches Anweisung für den deutschen Menschen
der Zukunft lautete, er müsse den Süden in sich wie-
der entdecken. Von unsrem Wohnbau kann man
sagen, daß er geradezu der Schrittmacher einer neuen
Entdeckung des Südens im nordischen Menschen ge-
wesen ist. Einer Entdeckung; denn viele solcher Ent-
deckungen sind in der deutschen Geistesgeschichte
schon vor sich gegangen, von Dürer bis Winckel-
mann, Goethe und Nietzsche, und stets haben sie im
nordischen Menschen eine heilsame Urerinnerung
heraufgerufen und befestigt: die Erinnerung an eine
mögliche Einheit zwischen Leben und Geist, Leib und
Seele, Mensch und Natur. Es gehört zwar - klima-
tisch begründet - zum Lebensgesetz des Nordens, daß
er Natur und Kultur als Gegensätze erlebt. Er muß
1938. XI. 1
»BLICK VOM GROSSEN WOHNRAUM«
LASST SONNE HEREIN
ZU EINEM WOHNHAUS DER ARCHITEKTEN BRQDER LUCKHARDT —BERLIN
Denn wer sucht wohl ein Land auf, traurig von
Ansehen und Bebauung, außer wenn es sein
Vaterland ist?« rief Tacitus aus, als er in seiner Be-
schreibung Germaniens von dem spärlichen Handels-
verkehr an dessen Nordküsten sprach; und die römi-
schen Literaten mögen das Frösteln bekommen ha-
ben, wenn ihnen die Schilderung des großen Schrift-
stellers ein Gebiet voll endloser Wälder und Sümpfe,
ungebändigter Ströme und ewigen Nebels vors Auge
rückte. Hat aber die Beschreibung damals schon nicht
gestimmt - wie weit ist gar die Wirklichkeit der deut-
schen Landschaft in den tausendachthundertvierzig
Jahren seit dsm Erscheinen der »Germania« über sie
hinausgelangt, welch ein heiteres, schönes Ver-
trauensverhältnis zwischen Natur und Mensch hat
sich namentlich durch die Bauweise der letzten Jahr-
zehnte bei uns aufgetan und hat Deutschland »cultu
aspectuque« zu einem der fröhlichsten Länder unsrer
Zone gemacht! Die Seeufer, die Flußtäler, die Heide
und die Berghänge im Norden und Süden lachen von
hellen Häusern und Siedlungen, die aus Wäldern her-
vortreten und sich mit weiten Fenstern, ja ganzen
Glasfronten der Sonne und der frischen Luft öffnen.
Nietzsches Anweisung für den deutschen Menschen
der Zukunft lautete, er müsse den Süden in sich wie-
der entdecken. Von unsrem Wohnbau kann man
sagen, daß er geradezu der Schrittmacher einer neuen
Entdeckung des Südens im nordischen Menschen ge-
wesen ist. Einer Entdeckung; denn viele solcher Ent-
deckungen sind in der deutschen Geistesgeschichte
schon vor sich gegangen, von Dürer bis Winckel-
mann, Goethe und Nietzsche, und stets haben sie im
nordischen Menschen eine heilsame Urerinnerung
heraufgerufen und befestigt: die Erinnerung an eine
mögliche Einheit zwischen Leben und Geist, Leib und
Seele, Mensch und Natur. Es gehört zwar - klima-
tisch begründet - zum Lebensgesetz des Nordens, daß
er Natur und Kultur als Gegensätze erlebt. Er muß
1938. XI. 1