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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 49.1938

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Möbius, Martin Richard: Stil oder Mode?
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https://doi.org/10.11588/diglit.10945#0317

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INN EN-DEKORATION

303

»SPIELZIMMER EINES KASINOS« DECKE: EICHTE GESANDELT, WÄNDE: GLATTPUTZ, BODEN: EICHE MIT RAUCHERELCHE

STIL ODER MODE?

Die auf Unterscheidung von Stil und Mode ge-
richtete Frage wird heute immer häufiger, da
wir nach einer Zeit der Moden in eine des Stils zu
treten scheinen und infolgedessen zahlreichen Ver-
wechslungen der Begriffe begegnen. Am häufigsten
taucht diese Frage dort auf, wo die Beziehung zum
alltäglichen Leben besonders eng ist, nämlich im
Bereich der Bekleidung, der Einrichtung und Ge-
staltung der Gehäuse. Hier wird der Versuch, einer
Mode etwas längere Lebenszeit zu sichern, oft genug
als Beginn einer Stilbildung betrachtet - aber auch
wahrhaft stilbildende Kräfte verwechselt man gern
mit Launen der Mode.

Die Tracht ist stilvoll, da sie durch bestimmte,
keiner zeitlichen Begrenzung unterliegende An-
sprüche das Hemdkleid der Ahnen bis zum heute
noch getragenen Kleid entwickelt hat, und was heute
aus der Tracht heraus neues Kleid wird, hat Stil.
Hingegen erfährt die der Mode unterworfene Beklei-
dung ohne jede Bindung an Überlieferung, Erfah-
rung oder andere zeitlose Mächte jedes Frühjahr

und jeden Herbst auf Grund einer ungebundenen
Laune ihre Veränderung. Das Ungebundene bewirkt
das Modische; das Gebundene den Stil.

Rein äußerlich sagt man deshalb, Mode sei, was
nicht lange dauere. Aber die Dauer ist eigentlich nur
dann etwas Wesentliches der Unterscheidung, wenn
sie auf inneren Gründen beruht. Die Mode ist im
Laufe der Zeit nicht zu entwickeln; der Stil aber ist
fortpflanzungsfähig. So ist es wichtig, darauf hinzu-
weisen, daß wir aus jüngster Zeit ein aufschluß-
reiches Beispiel haben: den um die Jahrhundert-
wende entwickelten Jugendstil. Er hatte keine lange
Lebensdauer, ähnelte somit einer Mode - und doch
hätte aus seinen Ansätzen ein Stil werden können,
hätten diese sich nicht allzu schnell mit modischen
Dingen beschwert. Der Gedanke des Jugendstils,
aus der kalten Pracht bürgerlicher Renaissance zur
organischen Funktion des Materials zu kommen,
hatte stilbildende Kraft. Trotzdem erlag dieser Stil-
wille dem kunstgewerblichen Streben der Vorkriegs-
zeit, überall die modische Ornamentik anzubringen.
 
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