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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 51.1940

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Michel, Wilhelm: Geselliges Leben
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https://doi.org/10.11588/diglit.10972#0100
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INNEN-DEKORATION

»WOHNZIMMER« MÖBELBEZÜGE: BRAUNER VELOURS MIT ELFENBEINFARBENER ROTOESPRENKELTER CHEN1LLE

GESELLIGES LEBEN

Balzac spricht wohl in seiner »Physiologie des ele-
ganten Lebens« die Ansichten jener Periode des
Bürgerkönigtums aus, die uns nicht mit Unrecht als
die französische Entsprechung zu unserem Bieder-
meier gilt. Das sind lang vergangene Zeiten. Aber
sie konnten in ungestörter Friedlichkeit gewisse
Grundhaltungen des bürgerlichen Daseins entwik-
keln, die gerade für die Fragen der Wohnkultur be-
achtlich geblieben sind. Elegantes Leben heißt für
Balzac zunächst nur eine Lebensgestaltung, die völlig
unter der Diktatur des großen Götzen Gesellschaft
steht. Aber unvermerkt ergeben sich im Geiste des
Dichters höhere Auffassungen. »Das elegante Leben«,
sagt er einmal, »ist die Vervollkommnung der
sinnlichen Dinge, die Vollendung des äußeren, des
materiellen Lebens«. Er deutet dann auch an, in
welcher Richtung diese Vollendung geht: »Elegantes
Leben bedeutet die Entwicklung von Anmut und
Geschmack in allem, was uns gehört und umgibt.«
Klingt dies noch nach einer rein ästhetizistischen

Zielsetzung, so kommen ethische Gesichtspunkte
zum Vorschein, wenn Balzac sagt: »Ein Mensch der
guten Gesellschaft bildet sich gar nicht ein, der Herr
seines Besitzes zu sein, er stellt vielmehr alles, was
ihm gehört, den anderen zur Verfügung.« Die Form,
in der dies geschieht, ist für Balzac natürlich nur die
der privaten Geselligkeit. Aber er weiß, daß zu dieser
eine Begabung, ja eine echte persönliche Kultur des
Gastgebers und seines Heims gehört, welche vorbild-
lich ist; daher seine Bemerkung: »Eine Person bei
sich empfangen, das will sagen: sie auf das eigene
Niveau heben.« Wo diese Vorbedingung fehlt, tritt
das ein, was Oskar Wilde einmal boshaft verzeichnete:
»Manche Frau versucht, einen Salon zu gründen, und
es gelingt ihr nur, ein Restaurant zu eröffnen.«

Wir haben heute an die Stelle, wo früher der Be-
griff Gesellschaft stand, den Begriff Gemeinschaft
gesetzt. Denn Zeiten einer tieferen Umbildung kön-
nen mit der »Gesellschaft«, die immer zunächst von
gestern ist, nichts anfangen. Gesellschaft ist etwas
 
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