Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 51.1940

DOI article:
Michel, Wilhelm: Geselliges Leben
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.10972#0101

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
INNEN-DEKORATION

91

»vorraum« vom wohnzimmer durch eine verglaste kulisse getrennt, boden: schwarzer marmor

Abgeleitetes, sie ist ein Friedensprodukt und ein fer-
tiges Strukturgebilde; Gemeinschaft ist etwas Ur-
sprüngliches, und sie gehört zu den Kampfzeiten,
wo man bei Menschen, Ordnungen und Sachen auf
den Grund, auf den Kern gehen muß. Aber gerade
weil Gesellschaft etwas Abgeleitetes ist, bildet sie sich
immer von neuem, nach dem Gesetz, daß nach jeder
Befestigung neuer Grundlagen auch die Ableitungen,
die Gewohnheiten, das neue Brauchtum und die
neue Schicklichkeit sich einstellen. Ubi homines
sunt, modi sunt, heißt ein altes Römerwort, und es
besagt: Wo Menschen sind, da ergeben sich be-
stimmte Weisen ihres Zusammenlebens. Und sind
diese Weisen einmal festgestellt, so gewinnen sie
stets wieder kulturelle und erzieherische Bedeutung.
Kann Äußeres und Inneres, Form und Wesen je
dauernd geschieden bleiben? Goethes Meinung war:
»Wie kann ein junger Mensch sich bilden, wenn er
nicht eitel ist? Der tüchtige Mensch wird sich schon
bald von außen nach innen bilden.« Wohlgemerkt,
der Tüchtige! Er wird sich, wo der Laffe und der
Geck in Schneiderfragen steckenbleiben, von äuße-

rem Anstand auf den inneren, von äußerer Korrekt-
heit auf sittliche Zucht gelenkt fühlen. In den Ge-
sprächen des Konfuzius wird von einem Weisen er-
zählt, der sagte: »Dem Edlen kommt es auf das
Wesen an und sonst nichts. Was braucht er sich um
die Form zu kümmern ?« Das verweist ihm ein andrer
Meister mit den Worten: »Bedauerlich ist die Rede
des Herrn über den Edlen. Die Form ist das Wesen,
das Wesen ist die Form.« Ist dies Ästhetentum? -
Keineswegs. Es ist Kultur; es ist das Bekenntnis zur
selbstverständlichen Form und viel eher zur stillen
und schweigenden Schönheit als zur lauten. Gibt es
nicht zu denken, daß sich in Japan edelste kulturelle
Auswirkungen an eine scheinbar ganz stofflich-sinn-
liche Sache, an die Bereitung, Darbietung und den
Genuß des Tees geknüpft haben? Denn im japa-
nischen Tee-Brauchtum hat es sich stets darum ge-
handelt, der edelsten Substanz das Edelste an mensch-
licher Handhabung zuteil werden zu lassen. Daraus
erwuchs ein Kulturbegriff, dem die stille, selbstver-
ständliche Form am höchsten steht, weil er sie als
Eins mit dem Wesen faßt, - Wilhelm michel
 
Annotationen