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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 51.1940

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Gegenwart und Vergangenheit
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https://doi.org/10.11588/diglit.10972#0056

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46

INNEN-DEKORATI ON

»ZIMMER DES SCHULLEITERS« DURCH UMGESTALTUNO DER FRÜHEREN HAUSKAPELLE ENTSTANDEN

GEGENWART UND VERGANGENHEIT

Staunend standen die Menschen des neunzehnten
Jahrhunderts vor der Unbefangenheit, mit der
in alten Bauwerken, namentlich in Kirchen und
Schlössern, die verschiedenen Kunstperioden sich
nebeneinander ausgewirkt hatten. Kühn hatten go-
tische Baumeister auf romanischen Grundmauern
ihre neuen Konstruktionen errichtet. In vielen Kir-
chen von uralter Anlage hatten sich barocke Seiten-
kapellen eingenistet, und die gewundenen Säulen und
gebrochenen Giebel ihrer Altäre lagen so selbstver-
ständlich im Lichte der gewaltigen Spitzbogenfenster,
daß ein Bild von schönster Ausgeglichenheit ent-
stand. Beim Mainzer Dom zeigten sich die gotischen
Mittelgeschosse des Westturmes von einer Bekrö-
nung in blühenden Rokokoformen übergipfelt, und
gleichwohl machte dieses Gebilde einen wesentlich
»gewachseneren« Eindruck als der in beflissener Stil-
echtheit später erneuerte Ostturm. Wie arm und
mattherzig waren dagegen die Gedanken, mit denen
das Geschlecht vom Ende des 19. Jahrhunderts die

Frage des Ineinandergreifens alter und neuer Ge-
staltung an einem Bauwerk behandelte! Die aber-
gläubische Scheu vor dem Stilbegriff stand im Vorder-
grund; der Stilbegriff ward zum Fetisch erhoben,
der keine eigne Regung einer neuen Zeit neben sich
duldete, und die »stilechten« Renovierungen oder
Fortbildungen feierten Triumphe. Aber das Ergebnis
war, daß in gewandelter Zeit ein neues Geschlecht
kam, dem gerade diese stilechten Erneuerungen das
eigentlich Störende an alten Bauzusammenhängen
wurden. Der naive, unbefangene Einsatz verschiede-
ner Zeiten kann nebeneinander gut bestehen; aber
reflektierte Einschiebsel wirken schrill und miß-
tönend, wenn sie sich auch noch so sehr um das
Einstimmen in den alten Stil bemühen. Ein neues
Geschlecht ist endlich Herr aller schönen, ererbten
Vergangenheit geworden und weiß sie aus eben-
bürtiger Kraft des Lebensgefühls frisch zu nutzen.

Diese unsre neue Stellung zum Formengut unsrer
Vergangenheit führt nun keineswegs zur Ehrfurchts-
 
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