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Seife 300.

Internationale Sammler-Zeitung.

Hummer 19.


lliederganges, psychologisch und vielleicht
auch durch den Glauben an eine höhere
Vollendung gehalten, der Keim zu neuer
Entwicklung.
Darum hat es einen solchen Reiz,
diesen Hlenschen ins Antliß zu sehen.
Ich glaube nicht, daß es etwa Einseitig-
keit des Archäologen ist, die den ebenfalls
in Aquileia gemachten ?und eines lebens-
großen, um das Jahr 400 herum ent-
standenen Steinreliefs der Apostel-
fürsten Petrus und Paulus so freudig be-
grüßte, als zeitlich richtig rangierenden
Beweis, daß der Weg in der Apostelikono-
graphie nicht vom erdachten Typus zum
konventionellen Porträt, sondern umge-
kehrt oom lebenswahren Porträt zum
allmählich verblassenden und erstarren-
den Typus geführt hat. Wir bekommen
dadurch auch Anschluß an jene Hlenschen,
wir spüren ihren Tebensodem und blicken
in das leidenschaftliche Auge Pauli und
verstehen den scheinbar zurückweichen-

fig. 4. Details des Sischmosaiks.
Beachtung umrahmt, mit Recht als Vorausseßung und
Fundament der Übernatur erfaßt werden. 5o wie die
natürliche Ordnung in sich vollendet erscheint, ist sie
unvollendet mit Rücksicht auf den wahren Orpheus,
Christus, dessen Tieder alle zähmen und eine neue,
wesentlich vollkommene Ordnung und Harmonie lehren.
Eine große Idee, die wenigstens für unser Auge aus dem
wiedererstehenden JTlosaik von Aquileia mehr als sonst
einem antiken Bauwerk herausleuchtet.1'’ Diese Idee wollte
man damals sicher nicht reflektierend zum Ausdruck
bringen, um so stärker war sie in der völligen Selbst-
verständlichkeit eines solchen Kirchenschmuckes wirksam.
Ihren späteren Höhepunkt fand sie nicht in den phan-
tastischen Tierbildern des ITlittelalters, gegen die der
heilige Bernhard eiferte,7 sondern in der seraphischen,
sonst von keinem manschen und keinem Dichter gleich
glühend empfundenen, reinen natürliche des heiligen
Vranziskus von Assisi.
Und mit sinnigem Auge haben gewiß auch die
großen Geister des 4. Jahrhunderts, die zur theologischen
Schule von Aquileia gehörten: Chromatins, Hieronymus,
Rufinus, dann von THailand her Ambrosius bei seinen
wiederholten Besuchen, von Alexandrien her Athanasius
auf seiner flucht nach Trier, diese Bilder geschaut, die
sich uns heute entschleiern. Wir schauen mit den Augen
damaliger menschen und suchen wieder Antikes und
Christliches nicht miteinander zu versöhnen, wohl aber
zu durchdringen, zu ergänzen, zu reinigen, zu klären und
so zu vollenden.
Wir erkennen in dieser rückgehenden Kunst der
ersten christlichen Jahrhunderte noch die klassische Höhe
und die monumentale Gesamtkomposition. Dabei freilich
auch schon, was man gern den Verfall nennt, ein Genügen
an naiven, unakademischen formen, sagen wir, ein Hinein-
weben romantischer formelemente ins antike Kleid der
Kunst, technisch und geschichtlich gewiß ein Prozeß des
6 Künstlerisch zum Ausdruck gebracht auf dem Vufjboden-
mosaik.uon Horkstoir (England), das dem Anfang des 4. Jahr-
hunderts entstammt und im Zentrum die Gestalt des Orpheus, rings-
herum uerschiedene Tiere, darunter Elefant, Eber, Bär, aufroeist.
Abgebildet nach Tysous, Reliquiae Britannico-Romanae, pl. UI bei
Cabrol, 1. c. II, 5. 1181, 5ig. 1634. Vgl. Heron de Villefosse,
ITlosaiques recent. decouuertes en Afrique, 5. 28.
' Apologia ad öuillelmum Abbatem Opera, Venedig 1727,
Bd. II, 5. 545.

den, klugen Blick Petri, mit den schwer-
mütigen Zügen. Wir meinen ihre Worte zu
hören und staunen, wie sehr die Selbstporträte, die sie in
ihren Schriften von sich geben, mit diesen in Bronze und
Stein überlieferten Zügen stimmen. Ich denke dabei an die
Bronzeplatten der vatikanischen Sammlung, aber es genügt
auch, als Parallelen und Ergänzung für dieses Porträt-
relief, das schon zum allgemeinen Typus überleitet, die
übrigen Petrus- und Paulusbilder aus dem altchristlichen
Österreich allein zu nennen: vor allem die Elfenbein-
schnißereien auf der Reliquienarca aus 5. Ermacora bei
Pola, die zwei Paare von Apostelfiguren auf dem Silber-
gefäß unseres Hofmuseums für die ältere Auffassung,
dazu die ITlalereien des sehr gut erhaltenen Cubiculums
von fünfkirchen, besonders mit dem ausdrucksvollen
Pauluskopf als weitere Vertreter des werdenden Typus
und dann die dem späten 5. oder dem 6. Jahrhundert
entstammenden, völlig typischen Apostelköpfe auf dem
Reliquiar von Grado oder gar dem in einen Petrus um-
gearbeiteten Konsulbild des Prager Domschaßes.
So haben die drei Entwicklungsstadien der Aposteli-
konographie allein in unseren heimischen funden ihre
charakteristischen Vertreter, die zugleich neues Eicht auf
die ganze Entwicklung der Übergangskunst vom Altertum
zum mittelalter werfen, da kaum etwas anderes die
Stellung der Kunst gegenüber der Dafür so deutlich zeigt,
wie die Porträtkunst. Wenn ich aber gerade auf die späte
Antike und frühchristliche Zeit jeßt so großen Wert
lege, geschieht es nicht nur, weil sie für mich als
Theologen von Wichtigkeit sind, sondern weil sie uns
den Übergang der Periode, die wir hauptsächlich durch
unsere humanistische Schulung geistig erworben haben,
in das germanische und überhaupt neuere Kulturleben
darstellt.
Ich führe mit Absicht diesen Reichtum Österreichs,
den uns fast jedes Jahr neue wichtige funde erweisen,
auch deshalb an, um einen maßstab für Unbekanntes zu
geben, um zu veranschaulichen, wie sehr dieses Reich,
das mehr als andere auf die Wahrung seiner Traditionen
angewiesen ist, sprechende ITlonumente besißt, die wir
freilich auch kennen und schößen sollten, — das schlißen
ergäbe sich dann von selbst. Österreich hat eine solche
fülle von nionumenten, daß es den ganz Reichen auch '
darin gleicht, daß sie sich gern für arm halten. Glauben
wir doch an unseren Reichtum! Aus dem Glauben an die
Vergangenheit wird ein größerer Glaube an die Zukunft
fließen.
 
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