Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
einer allgemeinen Bauformenlehre.

9

betrachten, so sinden wir daran noch einzelne Theile, welche den heidnischen
Tempeln des zehnten und eilften Jahrhunderts angehören und heute noch
wohl erhalten sind. Es ist bei ven meisten unserer neueren und neuesten
steinernen Deukmälern und Bauten die Frage, ob sie 600 Jahre überdau-
ern werden?

Jedes Material folgt andern Bedingungen hinsichtlich seiner abso-
luten Festigkeit, seiner rückwirkenden Festigkeit, seiner relativen Stärke: so
auch das Holz, welches, vermöge seiner verhältnißmäßig großen Feder-
kraft, gegen andere Materialien verglichen, auch eine mehr nach der Länge
und weniger nach der Dicke strebende Form erheischt.

Die absolute Festigkeit des Holzes oder diejenige Kraft, welche das
Holz der Länge nach zerreißen könnte, wird bei allen Hängewerken, sonst
aber nie in Anspruch genommen.

Die rückwirkende Festigkeit, welche ein lothrecht gestelltes Holz zu
biegen oder brechen droht, lehrt, daß ein belasteter freistehcnder Pfosten
höchstens 10 Mal so hoch sein kann, als der Durchmesser seiner Grund-
siäche. Es würde demnach das Verhältniß einer hölzernen Säule eben-
falls höchstens etwa 11 Mal höher sein können, als ihr Durchmcsser, wenn
sie nicht von der Seite her auf irgend eine Art gehalten oder gestrebt
würde.

Ein ganz freistehendes Stück Holz aber, welches 100 Mal höher
als sein unterer Durchmesser wäre, würde nicht die geringste Last zu tra-
gen im Stande sein, ohne sich zu biegen.

Die relative Stärke des Bauholzes, oder der Widerstand liegender
Hölzer verhält sich bekanntlich wie die Produkte aus ihren Breiten mul-
tiplicirt mit den Quadraten ihrer Höhen; jedoch trelen auch hierbei natür-
liche Grenzen ein.

Es geht aus Obigem hervor, daß demnach die Holzconstruction nur
unter bestimmten Verhältniß - Maaßen möglich sei, und daß, wenn diese
Maaße dem Auge bemerklich gemacht werden, alsdann der Einklang sämmt-
licher Formen des Holzbaues sichtbar werde.

Die Eigenthümlichkeiten des Holzbaues sind also: Verhältnißmäßig
dünne Wände, als Raumabschließungen schlanke Stützen, Säulen, Pfostcn,
weites Freiliegen der Deckenbalken und, um dem Sturme Widerstand zn
leisten, schräge Abstrebung der hohen und dünnen Wände (wenn es nicht
Blockbau ist).

Der Natur der Sache nach sind also sogenannte Roft-Gebälke dem
Holzbau nicht eigenthümlich, sondcrn lange, zwischen Balken hinlaufende
Flächen, welche die Decke bilden, wie sie häufig in mittelalterlichen Bauten
 
Annotationen