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tiner allgeineiiml Bauformenlehre.

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eigenen Knnsterzengnisse übertrugcn; allein zweierlei Ursachen verhinderten,
daß der römische Styl in so schlagender Folgerichtigkeit sich entwickell
härte, wie der griechische. Erstens lag es nicht in der Sinnesart der
Nömer, kunsterfinderisch auszutreten. Was sie zuerst davon sich eigen ge-
macht, war Nachahmung, und tuscische Baumeister leiteten ihre Arbeiten.
Denn die nur nach Krieg, Eroberung und Veute trachtenden Römer
hatten oon Ansang ihres llieiches bis zu dessen Ende wenig Sinn für
wahre Kunst und deren Formengestaltung. So wie sie in der Kaiserzeit
Pasteten von Pfauenzungen aßen, um khrer unsinnigen Prnnksucht zu
genügen, so baute Slero seinen golvenen Palast und das Doppeltheater
des Scaurus, dessen zwei Hälften, 30,000 Menschen fassend, zu einem
Circus zusammengedreht werden konnten, ein Baukunstftück, das damals
höher galt (und in setziger Zeit wieder gelten würde) als der bis in
seine geringsten Theile schöpferisch erfundene und angeordnete griechische
Bau, welcher zwar im Maaße klein, in tunstlerischer Hinstcht aber sich
mit sedem römischen Baukoloß mcssen konnte.

Zweitens trat der Umstand, daß die Römer den in sich dnrchge-
Lildeten, geradlinigen griechischen Baustyl ihrem gewölbten um seden Preis
anpassen lvollten, eben einer solchen Durchbildung hindernd entgegen.
Wir sehen daher den Säulenbau mit seiner wagerechten Decke, aus allem
natürlichen Zusammenhange gerissen, als bloßen Schmuck an den rö-
mischen Gebäuden verwendet. Man stellte die Säulen einzeln, weit aus-
einander, und gab ihnen ein einzelnes Gebälk zu tragen. Man kuppelte
ste, schweifte die Grundrißformen nach allen mögliehen Richtungen, setzte
auf einzelne Säulen einzelne Gebälke und überwölbte die entstandenen
Zwischenräume zu Bogenstellungen. Man brachte die von einem sreien
Geiste belebten einzelnen Theile der Säulen in bestimmte unabänderliche
Pcaaßverhältnisse, wovon Vitruv das schlagendste Zeugniß giebt. Sie
mochten außerhalb oder innerhalb, tief unten oder hoch oben stehen, man
bestiminte seder sogenannten Ordnung, sowie deren einzelnen Theilen, ihr
unabänderliches Modellmaaß, unbekümmcrt ob sie nun zu groß oder zu
klein erscheinen würden, ob man von den einzelnen Gliederungen noch
etwas in der Höhe erkennen konnte oder nicht. Man verlangte nur die
Erfüllung todter Regeln, den geisllgen Hauch, welcher über den griechi-
schen Werken schwebte, ahnte man nicht, nahm ihn deshalb nicht wahr
und vermochte darum nicht, ihn wieverzugeben. Leiver verfahren wir
heutzutage wieder größtentheils eben so. Man lehrt nach bestimmten,
unabänverlichen, bis in das Kieinste gehenden Regeln. Was könnte
allen Denen, die nicht Lust haben, über die Kunst, der sie sich geweiht,
nachzudenken, erwünschter sein, als ein so bequemer — fauler
 
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