Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Josef Weingartner Die friihgotische Malerei Deutschtirols

I I

Dieses starke Streben nach Lebenswahrheit, das wohl zweifellos auf ein genaueres
Naturstudium zurückgeht, zeigt sich auch in dem Umstande, daß nicht nur unheilige Neben-
figuren, wie Salome oder die Schergen bei der Kreuzigung, sondern auch schon die Einzel-
figuren der hl. Jungfrauen die damalige, in ihrem Charakter gewiß recht weltliche Zeit-
tracht tragen, während sich allerdings bei der traditionellen Frauengruppe der Kreuzigung
dieser Naturalismus noch nicht vorwagt. Hieher gehört weiterhin auch das Streben nach


Fig. 8 Brixen, Jolianniskirche, Enthauptung des hl. Johannes d. T.

dramatischer Belebung einzelner Gestalten und ganzer Szenen. Der lebhafte Kameltreiber,
die in ihrer Bewegung trefflich differenzierten Tiere, die Schergen beim Martyrium des
hl. Johannes Ev. und bei der Kreuzigung verdanken dieser Eigenart des Malers ihre charak-
teristische Gestalt. Auch die S-linie bei einzelnen der hl. Jungfrauen, die reich differenzierte
Bewegung der schlaff herabhängenden, stützenden, gerungenen Hände der hl. Frauen und
vor allem ihr stark unterstrichener schmerzlicher Gesichtsausdruck verraten denselben Geist.
Die beste und abgeklärteste Verkörperung fand aber dieser dramatische Zug wohl im Ent-
hauptungsbilde, zumal in der Figur des Henkers, wo in der zurückgestrafften Körperhaltung,
2*
 
Annotationen