Correg'gio-Studien
Von E. Tietze-Conrat.
I.
Das kleine Andachtsbildchen (Taf. XIX) stammt aus altem Wiener Privatbesitz und
kam, ein namenloses Werk, vor kurzem in den Kunsthandel. Da hat es mein Freund, der
Maler Karl Moll, dem die italienische Kunstgeschichte schon so viele Entdeckungen ver-
dankt, als Jugendarbeit des Correggio erkannt.
Hier ist nur der Versuch gemacht, das Bild in das Oeuvre des Meisters einzureihen
und ihm seine Bedeutung in der Entwicklung der Komposition abzufragen.
Die Malerei ist auf Holz, von kleinem, nahezu quadratischem Format (29 cm breit,
34 cm hoch). Die Madonna sitzt vor einer ganz dunkel gegebenen Erdböschung und hält
den Leichnam des Sohnes im Schoß. Sie stützt ihn um den starren Leib, den totenfarbenen,
und um die Schenkel mit ihren von warmem Blut durchströmten Händen; sein rechter
Arm hängt herunter, der linke liegt hilflos da, die ein wenig zusammengekrampften Hände
offen, die Handteller nach oben. Denselben Abstand in der Farbe zeigt das innig und
schwer niedergebeugte Haupt der Mutter über dem bleichen braunbärtigen des Toten. Die
ganze Kraft des farbigen Ausdruckes ist in diesem wichtigsten Teil des Bildes versammelt;
sie wird in ihrer Kontrastwirkung noch aufgenommen in dem leuchtenden Grauweiß des
Schurzes und dem wundervoll sich unterordnenden weinroten Gewand mit braungrünem
Mantel und grauem Schleiertuch um Haupt und Hals der Madonna. Unwichtig sind da-
neben die Beine Christi behandelt, in breite gelbgrüne Flecken aufgelöst, die wohl durch
die Zeit noch kälter, noch unverbundener auseinander gefallen sind. Die Böschung hinter
der Gruppe ist ganz ungegliedert, nur nach rechts gegen die Öffnung zu lockert sich
bräunliches Buschwerk als feine Silhouette los; der Blick geht dort ins Freie. Nur duftig
angedeutet ist ein bräunlicher Hügel, bei dem ein wenig FIeilblau von einem Wasser, viel-
leicht einem See erzählt, dahinter ein blaugrüner, braun überhauchter Berg, der Himmel in
hellstem Gelbblau. Die seicht ansteigenden Linien des Bodens, den freien Flimmel über-
schneidet ein gerades klares Bäumchen.
Die Gesichtszüge der Mutter, die leicht hinaufgezogenen Ecken des Mundes, die unter
den Lidern vortretenden Augäpfel, die hingebende Neigung des Hauptes — nur in jugend-
liche Anmut getaucht, zeigen sie die Frühwerke des Meisters, vor allem die Madonnen dei’
Bilder in Dresden und des Museo Artistico Municipale zu Mailand (Klassiker der Kunst X. Bd.,
S. 15 und 17). Die Landschaft und das Verhältnis der Gruppe zum Raum ist auch dem Mailänder
Bild der Mutter mit dem Jesuskind und dem kleinen Johannes (a. a. O., S. 17) am ähnlich-
sten. So verlockend es wäre, auf die Landschaft des Münchner Faunes hinzuweisen, muß
es dennoch unterbleiben, solange dieses Bild noch umstrittenes Gut ist. Auch die Zusammen-
Von E. Tietze-Conrat.
I.
Das kleine Andachtsbildchen (Taf. XIX) stammt aus altem Wiener Privatbesitz und
kam, ein namenloses Werk, vor kurzem in den Kunsthandel. Da hat es mein Freund, der
Maler Karl Moll, dem die italienische Kunstgeschichte schon so viele Entdeckungen ver-
dankt, als Jugendarbeit des Correggio erkannt.
Hier ist nur der Versuch gemacht, das Bild in das Oeuvre des Meisters einzureihen
und ihm seine Bedeutung in der Entwicklung der Komposition abzufragen.
Die Malerei ist auf Holz, von kleinem, nahezu quadratischem Format (29 cm breit,
34 cm hoch). Die Madonna sitzt vor einer ganz dunkel gegebenen Erdböschung und hält
den Leichnam des Sohnes im Schoß. Sie stützt ihn um den starren Leib, den totenfarbenen,
und um die Schenkel mit ihren von warmem Blut durchströmten Händen; sein rechter
Arm hängt herunter, der linke liegt hilflos da, die ein wenig zusammengekrampften Hände
offen, die Handteller nach oben. Denselben Abstand in der Farbe zeigt das innig und
schwer niedergebeugte Haupt der Mutter über dem bleichen braunbärtigen des Toten. Die
ganze Kraft des farbigen Ausdruckes ist in diesem wichtigsten Teil des Bildes versammelt;
sie wird in ihrer Kontrastwirkung noch aufgenommen in dem leuchtenden Grauweiß des
Schurzes und dem wundervoll sich unterordnenden weinroten Gewand mit braungrünem
Mantel und grauem Schleiertuch um Haupt und Hals der Madonna. Unwichtig sind da-
neben die Beine Christi behandelt, in breite gelbgrüne Flecken aufgelöst, die wohl durch
die Zeit noch kälter, noch unverbundener auseinander gefallen sind. Die Böschung hinter
der Gruppe ist ganz ungegliedert, nur nach rechts gegen die Öffnung zu lockert sich
bräunliches Buschwerk als feine Silhouette los; der Blick geht dort ins Freie. Nur duftig
angedeutet ist ein bräunlicher Hügel, bei dem ein wenig FIeilblau von einem Wasser, viel-
leicht einem See erzählt, dahinter ein blaugrüner, braun überhauchter Berg, der Himmel in
hellstem Gelbblau. Die seicht ansteigenden Linien des Bodens, den freien Flimmel über-
schneidet ein gerades klares Bäumchen.
Die Gesichtszüge der Mutter, die leicht hinaufgezogenen Ecken des Mundes, die unter
den Lidern vortretenden Augäpfel, die hingebende Neigung des Hauptes — nur in jugend-
liche Anmut getaucht, zeigen sie die Frühwerke des Meisters, vor allem die Madonnen dei’
Bilder in Dresden und des Museo Artistico Municipale zu Mailand (Klassiker der Kunst X. Bd.,
S. 15 und 17). Die Landschaft und das Verhältnis der Gruppe zum Raum ist auch dem Mailänder
Bild der Mutter mit dem Jesuskind und dem kleinen Johannes (a. a. O., S. 17) am ähnlich-
sten. So verlockend es wäre, auf die Landschaft des Münchner Faunes hinzuweisen, muß
es dennoch unterbleiben, solange dieses Bild noch umstrittenes Gut ist. Auch die Zusammen-